Dr. med. Hans-Christoph Scheiner † (Allgemein)
Er war das Allroundtalent unter den Mobilfunkgegnern, der Tausendsassa, der Hansdampf in allen Gassen. Für Dr. med. Hans-Christoph Scheiner war das Korsett des Allgemeinmediziners ein paar Nummern zu eng, er gründete deshalb eine politische Splitterpartei und ein Institut für holistische Medizin, er versuchte sich als Dichter, nahm Musikunterricht, schrieb Bücher und 1998 war er eigenen Angaben zufolge Gründungsmitglied des Anti-Mobilfunk-Vereins Bürgerwelle. Markenzeichen des gut aussehenden Mediziners waren seine Eloquenz und sein gewandtes Auftreten, beides gab ihm eine gewisse Aura ernster Seriosität.
Die Wege des IZgMF und Dr. Scheiners kreuzten sich erstmals 2002. Mit finanzieller Unterstützung des Vereins "Rettet den Münchener Norden" buchten wir ihn seinerzeit als einen von drei Referenten für eine Informationsveranstaltung gegen Mobilfunk. Mit dabei seine Ehefrau und Managerin Ana. Nach der Veranstaltung wollte ich ihm klar machen, dass das Publikum überfordert sei, wenn jeder Referent die physikalische Größe Leistungsflussdichte in seiner Lieblingsdimension nennen würde, der erste z.B. in nW/m², der zweite in W/m² und der dritte in mW/cm². Doch Scheiner war für solche Details nicht zu gewinnen, er dachte lieber in größeren Maßstäben - und geriet damit immer häufiger ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Mai 2007 etwa belehrte er Vertreter des BfS, es gäbe Millionen Bürger, die von Mobilfunk betroffen seien. Eine von ihm frei aus der Luft gegriffene Zahl. Die Dramatik, mit der der Mediziner vor angeblichen Gefahren des Mobilfunks warnte, spaltete auch die damals noch existierende "Funkpause", das Bündnis Münchener Bürgerinitiativen gegen Mobilfunk, in Scheiner-Anhänger und Scheiner-Gegner. Schon bei unserer Informationsveranstaltung hatte sich dies abgezeichnet, der Habitus des Holistikers polarisierte das Publikum: Wer nicht für ihn war, war gegen ihn, eine Grauzone Unentschlossener ließ sich nicht ausmachen.
Schlecht beraten war Scheiner, als er sich Ende 2007 mit dem zwielichtigen US-Wissenschaftler Dr. G. Carlo einließ. Das mit beträchtlichem Aufwand in Szene gesetzte Gemeinschaftsprojekt "Help for Wirless Victims" zerplatzte freilich noch in der Gründungsphase wie eine Seifenblase. Nicht weniger befremdlich war 2009 Scheiners Auftritt bei der Schweizerischen Sekte AZK (Anti-Zensur-Koalition). Seine schwerste Niederlage musste der Münchener Arzt jedoch schon Mitte 2006 einstecken, als sich sein Klavierlehrer, der wegen eines neuen Sendemasten 2004 über Nacht zum Mobilfunkgegner geworden war, öffentlich von ihm distanzierte und ihm unseriöses unwissenschaftliches Arbeiten vorwarf.
Zuletzt persönlich getroffen haben wir Dr. Scheiner im Juni 2009 anlässlich des Gemeinschaftsprojektes "Ringvorlesung", das er mit Dr. med. M. Kern (vergeblich) versuchte ins Rollen zu bringen. Meine Frau und ich mogelten uns in eine solche Vorlesung, die eigentlich für Ärzte vorgesehen war, jedoch von Laien und überzeugten Elektrosensiblen besucht wurde. Am Ende der Vorlesung kam es zum Eklat zwischen Dr. Kern und uns. Doch Scheiner trat dazwischen und schlichtete den Streit souverän. Auch dies war eine Facette seiner Persönlichkeit, eine keineswegs selbstverständliche, denn das IZgMF hatte ihn zuvor häufig angegriffen.
Dr. med. Hans-Christoph Scheiner starb im 66. Lebensjahr am 13. Juni 2012 in München nach langer schwerer Krankheit. Man kann ihn als heldenhaften Kämpfer gegen Elektrosmog sehen oder als verantwortungslosen Panikmacher. Ein für seine schräge Thesen berüchtigter Mitstreiter aus der Anti-Mobilfunk-Szene sieht ihn sogar als Märtyrer: Ganz ungezwungen spekuliert der Mann auf seiner Website, der Arzt sei womöglich umgebracht worden.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –