die Crux der Mobilfunker: Cannes
Nicht zur Werbung, sondern wieder nur zur Betrachtung unter funksmog-vermehrter Belastung. M.K.
F.A.Z. vom 09.03.2004, Technik und Motor
© Frankfurter Allgemeine Zeitung
Viele Neuheiten aus Cannes
Auf dem GSM-Kongreß wird Wireless-Lan wichtig / Der Sprechfunk zieht in die Mobilfunkwelt ein
Von Fritz Jörn
GSM: Zuerst war das eine im Juni 1982 in Wien gegründete, hauptsächlich französisch-deutsche "Groupe Spéciale Mobile". Im Sommer 1992 gingen danach hier die ersten beiden digitalen Mobilfunknetze in Betrieb - und jetzt, erst ein Dutzend Jahre später, telefonieren laut GSM-Vereinigung eine Milliarde Menschen in 200 Ländern, ein Sechstel der Weltbevölkerung, mit diesem inzwischen wahrhaft "globalem System für Mobilkommunikation". Ein Triumph der Technik, in seiner Expansion nur mit dem Internet zu vergleichen.
Dabei ist dieses "Netz" der komplexeste Automat, den die Welt je gesehen hat, und er wächst weiter, komplizierter und verzweigter, geheimnisvoll wie ein Myzel. Wir sehen nur die Handys, die wie Pilze daraus hervorwachsen; was wirklich in den Netzen passiert, bleibt verborgen. Kein Netz lässt sich in die Karten schauen, keine amtliche Statistik kümmert sich darum, keine neutrale Stelle informiert. Jeden Monat sollen 46 Milliarden Kurzmitteilungen versendet werden, aber wie viel telefoniert wird, wie viele Daten übertragen werden und wo, wer will das sagen?
Wap war ein Flop, gewiß, Imode wohl weniger, und um GPRS und MMS war es eher still in Cannes. UMTS gleich 3G ist in Japan ein anderes Verfahren als bei uns und inkompatibel. Die einen preisen die "dritte Generation", die anderen - Nokia etwa - finden UMTS-Netze noch nicht einmal reif fürs Testen ihrer Handys.
Der GSM-Kongreß in Cannes mit seinen 600 Ausstellern wurde von schätzungsweise 35000 Fachleuten besucht, alle auf der Suche nach neuen Inhalten. Das Internet hat gezeigt, dass sich da nichts vorhersagen lässt, kein Ebay, kein Amazon oder Google. Nur die Mobilfunker, die daran verdienen müssen, laufen weiter mit ihren Wünschelruten umher. Öffnen sie ihre Systeme, so verlieren sie wie im Internet die Kontrolle und damit Geld, lassen sie sie weiter geschlossen, so werden Wirkung und Werbung riskant und teuer.Eine zögernde Öffnung zum boomenden W-Lan, auch WiFi genannt, war zu erkennen, von einzelnen Betreibern wie T-Mobile und von Herstellern wie Nokia mit dem dann 25 Gramm leichteren Communicator 9500, der im Herbst mit gleich zwei Farbbildschirmen, VPN-Zugang für Unternehmen, einer VGA-Kamera, USB, "langsamem" W-Lan 802.11b (11 Mbits/s), Bluetooth. GPRS und Edge kommen soll, aber eben ohne UMTS. Ans Telefonieren mit Voice over IP zum W-Lan wird noch nicht gedacht, das wäre zuviel GSM-Tabubruch. Das Nokia-Betriebssystem ist Symbian OS 7.0S. Dagegen kämpft Microsoft immer ernster mit seinen kleinen Windows an, etwa im neuen, zwiefach aufklappbaren Organizer Motorola MPx samt richtiger 1,3-Megapixel-Kamera, doch ebenfalls ohne UMTS. Ja, es wird immer beliebter, E-Mails laufend unterwegs anzusehen. Geräte wie Rims Blackberry oder der leider nur bei E-Plus erhältliche Hiptop von Danger werden geschätzt wie Kleinode.
Für Gruppenunterhaltungen im CB-Funker-Stil - schön einfach und freie GPRS-Kanäle nutzend - bringen Nokia, Motorola und Siemens hoffentlich kompatible Handys, nachdem dieses verstaubte Wechselsprechverfahren ("push-to-talk") bei Nextel in Amerika erstaunlichen Erfolg hatte. Man stellt sich seine Mitfunkergruppe aus Nummern desselben Netzbetreibers zusammen, meldet sich an und kann dann auf Knopfdruck allen etwas sagen, so der Netzbetreiber das Verfahren einrichtet. Zur Antwort gehört Funkerdisziplin. Kurz: Es soll sich immer schnell Neues tummeln können in den Netzen, rasch austauschbar. Systemhäuser wie Unisys bauen dafür eigene "Plattformen" und machen pfiffige Vorschläge, etwa Spachbox-Nachrichten als MMS ins Handy zu schicken, damit man sie in Ruhe abhören kann.
Viele Neuerungen sind unspektakulär praktisch. W-Lan-Sendeempfänger werden winziger und stromsparender angeboten, etwa von Philips, und passen überall hinein. Für die Digitalkameras, die mobilfunken wollen, gibt es bald noch kleinere Sim-Kärtchen, nur 12 x 15 Millimeter groß. Philips baut VGA-Kameras in Speicherfinger ein. Schließlich will sich die GSM-Vereinigung um bessere Diebstahlabschreckung bemühen. In London werden täglich fast 2000 Handys gestohlen, oft gewaltsam von Banden. Die dortigen Netzbetreiber haben versprochen, mit jedem als gestohlen gemeldeten Kärtchen zugleich das Handy zu sperren. Denn auch das kann dieses modernste Netz der Welt: sich weigern.
FRITZ JÖRN
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IZGMF-Beitrag dazu: siehe Leitseite
Zu diesem Thema gibt es bereits einen Beitrag des IZGMF vom 19.4(?).04 auf der Leitseite:
Was es mit der PTT-Technik neuer Handys auf sich hat