Schweiz: Geheimtreffen zwischen Bafu und Mobilfunkgegnern (Allgemein)
Weil das Bafu mit seinen Antworten vor allem der Darstellung des Gigaherz-Präsidenten aus meiner Sicht zweifelsfrei widerspricht, kann ich mir ein paar Anmerkungen nicht verkneifen.
[...] Die Frage nach den Teilnehmern des Treffens ließ das Amt erwartungsgemäß unbeantwortet.
Als in Deutschland die Ärztin Waldmann-Selsam mit ihren Fallsammlungen über "Elektrosensible" die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, lud das Bundesamt für Strahlenschutz sie und einige weitere Mediziner der deutschen/österreichischen Anti-Mobilfunk-Szene 2006 zum Fachgespräch ein. Dieses (einmalige) Treffen wurde inklusive Teilnehmerliste auf 28 Seiten öffentlich dokumentiert.
Frage 2: Entspricht die Behauptung von Herrn Jakob (Das BAFU bestätigt, [...]) den Tatsachen oder wird der tatsächliche Sachverhalt verzerrt wiedergegeben?
[...] Bisher habe ein Zusammenhang zwischen den von betroffenen Personen genannten Beschwerden und der Belastung durch nichtionisierende Strahlung mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachgewiesen werden können. Die Leiden elektrosensibler Menschen wären jedoch real, und es sei allgemein anerkannt, es brauche weitere Studien, um die Ursachen für die Beschwerden besser zu verstehen.[...]
Da haben wir's! Das Bafu hat den von mir anhand Jakobs Schilderung angenommenen Kausalzusammenhang zwischen Symptomen und Funkeinwirkung also nicht bestätigt und folgt damit der gängigen wissenschaftlichen Konsensmeinung. So weit, so gut. Der pauschalen Darstellung, die "Leiden elektrosensibler Menschen wären jedoch real", kann ich mich jedoch nicht kommentarlos anschließen, obwohl diese Aussage häufig auch anderswo zu lesen ist. Die Wertung mag für einige "Elektrosensible" zutreffen, jedoch nicht für alle. So halte ich Deutschlands bekanntesten "Elektrosensiblen" Uli W. für einen ausgemachten Schwindler, wie hier im Forum mehrfach nachzulesen ist. Verdächtig ist auch, dass sehr viele wenn nicht alle "Elektrosensiblen" sich mit allerlei EMF-Detektoren eindecken, um ihrer gefühlten Feldwahrnehmung mit technischen Mitteln nachzuhelfen. Die Betroffenen trainieren auf diese Weise lediglich ihr fatales Vermeidungsverhalten, das sie zum Vorteil der Geräteanbieter in dem Teufelskreis aus Angst und Vermeidung gefangen hält.
Doch was ist mit denen, die im unbeirrbaren Glauben an ihre "Elektrosensibilität" tatsächlich reale Symptome entwickeln, sobald sie sich von Funk befeldet sehen? Üblicherweise finden Mediziner bei ihnen keine körperlichen Ursachen für die Beschwerden und diagnostizieren daher in aller Regel zum Leidwesen/Ärger der Betroffenen eine "somatoforme Störung". Das Problem dabei ist, dass diese psychosomatische Diagnose überwiegend von Ärzten gestellt wird, die keine fünfjährige Ausbildung zum Facharzt für psychosomatische Medizin absolviert haben, sondern z.B. Hausärzte, Orthopäden oder Gynäkologen sind.
"Dementsprechend ist auch die Qualität der Befunde, wie eine Studie 2003 belegt", schreibt der Autor Horst Gross in seinem Artikel "Fehldiagnose 'psychosomatisch', Die spinnen doch nur!" vom 11. August 2022 auf "Deutschlandfunk Kultur". Der lesenswerte Artikel befasst sich ausführlich mit den Mängeln psychosomatischer Diagnosen und thematisiert das Bemühen der Medizin um Besserung, indem statt der Fixierung auf die Psyche der Betroffenen der Arzt ein biopsychosoziales Gesamtverständnis für seine schwierigen Patienten aufbringt. So distanzierten sich moderne psychosomatische Konzepte ausdrücklich von der Idee, dass unklare Symptome ein Hilferuf der Seele sind. "Elektrosensible" werden den Artikel wahrscheinlich als Erlösung von der diskriminierenden "Psychoschiene" interpretieren, was jedoch nur teilweise zutrifft, denn so oder so bleibt das Hirn der Hauptverdächtige. Zwar erzählt der Autor von Diagnoseverzögerungen, die vermeintlich versponnene Patientinnen erst mit bis zu drei Jahren Verspätung mit der richtigen Diagnose Hirntumor rehabilitierten und so die Hoffnung aller "Elektrosensiblen" befeuern, dass sich für ihre unerwünschte Feldwahrnehmung irgendwann eben doch eine seltene körperliche Überempfindlichkeit herausstellt. Da die Medizin viel über uns weiß aber noch längst nicht alles, kann wissenschaftlicher Fortschritt tatsächlich unvermutet eine körperliche Erklärung für "Elektrosensibilität" hervorbringen. Die Entdeckung eines bislang unbekannten Feldwahrnehmungsorgans wird es aber wohl nicht sein, eher ein Defekt im Denkapparat der Betroffenen.
Diese Sichtweise vertritt Oberarzt Stoyan Popkirov, Psychosomatiker und Neurologe am Knappschaftskrankenhaus in Bochum. Unklare Krankheitssymptome wie Schmerzen oder Lähmungen sind für ihn nicht Ausdruck einer kranken Seele, sondern eines kranken Gehirns. Eine völlig neue Sichtweise in der Psychosomatik. "Jeder Gedanke, jede Wahrnehmung, die wir haben, die wir denken, die wir empfinden, spielt sich nun mal in einem Organ ab, in dem Gehirn und in allen anderen damit verbundenen Körpersystemen", erklärt er. "Man kann das manchmal ganz genau nachvollziehen: Wie eine körperliche Verletzung zum Beispiel nach einem Autounfall zu starken Schmerzzuständen führt und sich aus einer ganz reflektorischen, normalen Schonhaltung heraus im Verlauf eine funktionelle Lähmung entwickeln kann: jenseits der bewussten Kontrolle. Aber in solchen Fällen wäre es ein Irrweg, die unmittelbare Verbindung zu vorausgegangenen Kindheitstraumata oder Ähnlichem zu suchen."
[...] Dass es sich dabei nicht um einen Online-Zugriff handelt, sei keine Überraschung. Denn im Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» vom 18. November 2019 fänden sich folgende Ausführungen dazu:
«Die NIS-Fachstellen haben keinen direkten Zugriff auf die internen QS-Datenbanken der Betreiber. Sie werden aber zweimonatlich schriftlich über alle Abweichungen und deren Behebung informiert. [...]
Hätte Gigaherz-Jakob den Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» vom 18. November 2019 aufmerksam gelesen, er hätte am 31. März 2022 im Treffen mit dem Bafu nichts für ihn Neues über das QS-System erfahren. Der bayerische Komiker Karl Valentin hat Jakobs Versäumnis einmal so umschrieben: "Es ist alles gesagt worden, nur noch nicht von jedem." Zudem irrt der Ex-Elektriker zu seinem Nachteil, denn die Mobilfunknetzbetreiber geben gemäß Bafu nicht alle zwei Wochen rückwirkend Auskunft, welche ihrer Mobilfunksendeanlagen mit nicht genehmigter Senderichtung oder Sendeleistung vor sich hin gestrahlt haben, sondern alle zwei Monate! Hört sich schlimm an. Da derartige Fehlfunktionen in der Schweiz jedoch nicht die hohen Immissionsgrenzwerte betreffen, sondern die niedrigen Anlagegrenzwerte, dürften die Eidgenossen auch das längere Meldeintervall ganz und gar unbeschadet überstehen, zumal Fehler so oder so in maximal einer Arbeitswoche behoben sein müssen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
12.01.2023, 21:20
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H. Lamarr,
15.01.2023, 00:35
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