Kargo-Kult-Wissenschaft: Beispiel Bienenstudie von Daniel Favre (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 20.06.2022, 12:01 (vor 744 Tagen) @ H. Lamarr

Der Schweizer Imker und Hobby-Forscher Daniel Favre hat es 2011 mit einer Beobachtung über das Verhalten von Bienen unter EMF-Einwirkung zu einem gewissen Ruhm gebracht. Ein Wiederholungsversuch des IZgMF scheiterte und deutete auf methodische Mängel in Favres Versuchsaufbau hin. 2020 publizierte Favre erneut, diesmal gemeinsam mit dem Schweden Olle Johansson, – und lieferte eine Kargo-Kult-Studie ersten Ranges ab.

Die Idee von Favre/Johansson war: Stört hohes Mobilfunk-Verkehrsaufkommen in einer Silvesternacht Bienen beim Überwintern? In der Silvesternacht 2019/2020 schritten sie zur Tat und statteten einen Bienenkasten mit einem handelsüblichen Diktiergerät zur akustischen Aufzeichnung des Bienensummens (Worker Piping) aus. Expositionsquelle war ein 800 Meter vom Bienenkasten entfernter Mobilfunksendemast. Erwartungsgemäß ergab die Auswertung der Tonaufzeichnung: Pünktlich um Mitternacht schwoll das Summen der Bienen deutlich an. In der warmen Jahreszeit signalisiert dieses Summen das bevorstehende Schwärmen der Bienen (Ausfliegen), was für die Insekten im Winter jedoch tödlich wäre.

Die beiden Forscher hatten damit alles unter Dach und Fach, um ihre Studie (Does enhanced electromagnetic radiation disturb honeybees' behaviour? Observations during new years's eve 2019) in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zu veröffentlichen (Volltext, 9 Seiten, englisch).

So weit, so gut.

Akribisch dokumentierten Favre und Johansson alle nur denkbaren Details ihres Versuchsaufbaus z.B. die Betriebsspannung des Diktiergeräts oder die Namen und Höhe der niedrigen Berge, die den Ort des Geschehens umgeben. Diese bewundernswerte Detailversessenheit suggeriert einem Leser der Studie, hier wären ernsthafte Forscher am Werk gewesen, die an alles gedacht haben. Möglicherweise ließen sich auch die Gutachter der Zeitschrift von der Detailfülle blenden, anlässlich ihrer Peer-Review winkten sie das Paper jedenfalls durch, was mMn wegen eines kapitalen Fehlers im Studiendesign nicht hätte passieren dürfen.

Wenn jemand die Hypothese bestätigen möchte, hohes Mobilfunk-Verkehrsaufkommen zu Silvester würde Bienen beim Überwintern empfindlich stören, muss er, um einen Kausalzusammenhang zwischen Mobilfunkimmission am Bienenkasten und dem Summen der Bienen zu belegen, nicht nur das Summen aufzeichnen, sondern – selbstverständlich – auch die Mobilfunkimmission am Ort des Geschehens. Genau dies aber haben die beiden Forscher versäumt, in ihrem Paper konnte ich keinerlei Messwerte finden! Diese grobe Unterlassung ist insofern unverständlich, da eine überschlägige EMF-Messung auch mit Hobby-Messtechnik möglich gewesen wäre. Allerdings hätten Favre/Johansson dazu in der Kälte vor Ort sein müssen und über einen längeren Zeitraum die Messwerte ablesen und händisch protokollieren müssen. Mutmaßlich war ihnen das zu aufwendig, Silvester im Kreis der Familie feiern und das Verkosten einer leckeren Bowle in der warmen Stube ist ja nachvollziehbar die weitaus angenehmere Alternative. Zur Ehrenrettung der beiden Forscher sei jedoch angemerkt, dass sie abseits von Silvester immerhin elf Vergleichsmessungen des Bienensummens veranstalteten, bei denen sie kein Anschwellen des Geräuschs feststellen konnten. Das klingt gut. Doch überzeugender wäre es gewesen, hätten sie auch dann die Mobilfunkimmission gemessen und zeigen können, dass diese signifikant schwächer war als in der Silvesternacht.

Weiterhin vermisse ich in der Studie die Betrachtung möglicher Störgrößen, die zu einem falsch-positiven Ergebnis hätten führen können. Beispiel: Wo ein Mobilfunkmast in der Landschaft steht, halten sich wahrscheinlich auch Menschen auf, sonst stünde er dort nicht. Und Menschen begehen Silvester gerne mit Böllern oder Feuerwerk. Als Laie in Bienenfragen könnte ich mir vorstellen, dass die Knallerei, die 2019/2020 noch nicht Corona zum Opfer gefallen sein konnte, die Bienen aufgeregt hat. Oder irgendetwas anderes (z.B. feiernde Jugendliche), was auf den wahrscheinlich unbewachten Bienenkasten in der Silverstnacht einwirkte. Gezielte Manipulation (z.B. Rütteln am Bienenkasten) will ich nicht unterstellen, wegen der in der Anti-Mobilfunk-Szene häufig aufblitzenden Manipulationsbereitschaft (jüngstes Beispiel) kann ich diese aber auch nicht rundweg ausschließen.

Hintergrund
Was das IZgMF-Forum über Daniel Favres Bienenstudien weiß

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Johansson, Bienen, Pseudowissenschaft, Junk-Science, Favre, Kargo-Kult, Kargo-Kult-Wissenschaft, Abseitige, Methodische Schwächen


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