"Reflex": Wie die Süddeutsche über ein "so" stolperte (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 28.04.2019, 20:23 (vor 2036 Tagen) @ H. Lamarr

Am 13. Februar 2013 lässt Dr. Franz Adlkofer dazu verlauten:

"Das Landgericht Hamburg hat Ende 2012 in der Klage von Professor Franz Adlkofer gegen die Süddeutsche Zeitung (SZ) entschieden, dass die Ergebnisse der REFLEX-Studie durch eine Reihe anderer Untersuchungen als bestätigt angesehen werden müssen (Az.: 324 O 255/12).

Wer sich das erstinstanzliche Urteil von 2012 ansieht kann feststellen, die Formulierung von Franz Adlkofer, die "Reflex"-Ergebnisse müssten durch eine Reihe anderer Untersuchungen "als bestätigt angesehen werden", wird vom Text der Entscheidung nicht gedeckt. Offensichtlich wollte Adlkofer damit, wie später Diagnose-Funk mit dem Urteil im Streit Kratochvil vs. Lerchl, den Eindruck erwecken, die Wiener HF-Studie sei vor Gericht als untadelig erkannt und von den Fälschungsvorwürfen freigesprochen worden. Dies aber kann ich aus der Entscheidung überhaupt nicht herauslesen. Das Gericht bezieht sich vielmehr ausdrücklich auf das Textverständnis von Laien, die nicht unterscheiden würden zwischen einer methodisch und technisch zum Original gleichen Studienreplikation und einer Studie, die den gleichen Endpunkt (hier genschädigendes Potential von EMF) auf methodisch und technisch beliebig andere Weise erreicht. Ein Laie könnte daher – mit meinen Worten – die angegriffene Textpassage aus dem SZ-Artikel ...

"Die Ergebnisse (sc. der REFLEX-Studie) konnten so allerdings nie von anderen Labors reproduziert werden." ...

irrtümlich dahingehend missverstehen, es gäbe überhaupt keine Studien, abgesehen von der Wiener "Reflex"-Studie, die ein genschädigendes Potential von EMF beobachtet haben.

Erst unter diesem speziellen Blickwinkel erschließt sich einem (zumindest mir) die Entscheidung des Landgerichts Hamburg. In seinen Entscheidungsgründen misst das LG dem Wort "so" in der angegriffenen Textpassage große Bedeutung zu:

Dem Leser wird daher nicht vermittelt, dass es Unterschiede in Methodik oder Versuchsaufbau bei einzelnen Studien geben kann, so dass sich die Frage, ob die mit der Reflex-Studie veröffentlichten Ergebnisse unter Anwendung des identischen Versuchsaufbaus reproduzierbar waren oder nicht, für den Leser gerade nicht stellt. Denn der Leser wird das Wort "so" in dem angegriffenen Satz darauf beziehen, dass die Ergebnisse, die die Bedenken im Hinblick auf Mobilfunkstrahlung belegen sollen, nicht durch andere Studien bestätigt worden sind. Hingegen wird er sich keine Gedanken darüber machen, ob die anderen Studien die Methode bzw. den identischen Versuchsaufbau der Reflex-Studie angewendet haben, denn solche Überlegungen werden weder durch die Berichterstattung angestoßen, noch kann davon ausgegangen werden, dass der Durchschnittsleser einer Tageszeitung sich diese aufgrund seiner eigenen Kenntnisse über wissenschaftliche Arbeitsweisen und Forschungsmethoden macht.

Aus meiner Sicht hat das "so" eine ganz andere Bedeutung, es will verkürzt für "auf diese Weise" deutlich machen, dass anderen Laboren die methodisch und technisch zum Original gleiche Studienreplikation nicht gelungen ist. Allerdings gehöre ich mit Blick auf "Reflex" nicht zur anvisierten unbeteiligten Zielgruppe der Süddeutschen.

Es ist schon kurios, was dieses überraschend bedeutungsvolle "so" der Süddeutschen für Probleme in der ersten Instanz eingebrockt hat. Wie Franz Adlkofer versucht, die Entscheidung des LG in seinem Sinne umzudeuten halte ich nicht für kurios. Wie Adlkofer die Bedeutung von 1:1-Replikationen gegenüber dem LG klein und methodisch sowie technisch zum Original ferne Studien groß redete, ist folgendem Textfragment aus dem Urteil zu entnehmen:

Der Kläger trägt vor, dass Ergebnisse, die wie in der Reflex-Studie auf ein genschädigendes Potential hinweisen, in zahlreichen Untersuchungen unter Verwendung verschiedener Methoden und verschiedener Zellen erlangt worden seien, es komme nicht darauf an, ob die Reflex-Studie in allen Einzelheiten reproduziert worden sei. Gerade die Vielfalt der Nachweismethoden könne als Beleg angesehen werden, dass die Ergebnisse der Reflex-Studie über jeden Zweifel erhaben seien. Er beruft sich auf eine Studie für niederfrequente elektromagnetische Felder (Focke, Schuermann, Kuster, Schär), eine Studie für hochfrequente elektromagnetische Felder (Franzellitti, Valbonesi, Ciancagli, Biondi, Bontin, Bersani, Fabbri) sowie weitere Veröffentlichungen (Focke, Xu et al., Campisi et al. , Kraca et al. Guler et al., Kesari et al.). Zudem habe eine andere Forschergruppe an der Medizinischen Universität Wien mit denselben Zellen und denselben Methoden die Ergebnisse der Studie reproduziert, hierfür bietet er Professor Dr. M. als Zeugen an. Auch auf einer internationalen Konferenz (EMF Health Risk Research) seien im Oktober 2011 die Ergebnisse der Studie bestätigt worden. Ein Wiederholungsversuch der Reflex-Studie an der Universität Ulm sei aufgrund eines Übermittlungsfehlers nicht vergleichbar gewesen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Klage, Reflex, Wissenschaftliches Fehlverhalten, Aktenzeichen, Wien, Adlkofer, SZ, Replikation Freispruch, Buske


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