Bundesrat wird Lockerung nicht verordnen – wirklich? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 06.03.2018, 21:56 (vor 2461 Tagen) @ H. Lamarr

Mit dem Nein des Ständerates zur Lockerung der Anlagegrenzwerte bleiben von den drei möglichen Handlungsoptionen in der Schweiz noch zwei übrig:

– 5G-Versorgung über den Weg der Netzverdichtung (mehr Sendemasten)
– Bundesrat lockert Anlagegrenzwerte im Alleingang mit seiner Verordnungskompetenz

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) war am Abend des 5. März eine der ersten, die über das Votum des Ständerates gegen eine Lockerung der Anlagegrenzwerte berichtete. In einem Online-Artikel des Blattes hieß es im Zusammenhang mit der Verordnungskompetenz des Bundesrates unter anderem:

Bundesrätin Doris Leuthard sagte in der Debatte, dass bei es bei einem Nein keine Anpassung des Anlagegrenzwerts gebe.

Sollte diese Aussage zutreffen bliebe den Netzbetreibern in der Schweiz allein die mühsame Ochsentour der Netzverdichtung, um 5G nicht nur in die Städte, sondern bis in die Bergtäler des Alpenstaates zu bringen.

Doch die NZZ hat anscheinend kalte Füße bekommen, den besagten Online-Artikel diskret geändert und die oben zitierte Textpassage verschwinden lassen. Dass es diese Passage überhaupt je gegeben hat belegt einzig und allein das momentan noch verfügbare Google-Sniplet des Artikels (siehe Screenshot):

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Reproduzierbar auffindbar ist jedoch allein die neue Version des NZZ-Artikels in welcher der spektakuläre Verzicht etwas anders (schwächer) dargestellt wird:

Bundesrätin Doris Leuthard machte in der Debatte ebenfalls klar, dass die Landesregierung sich an das Votum halten werde. Da die Grenzwerte in einer Verordnung festgelegt sind, könnte der Bundesrat zwar eigentlich selbständig entscheiden – und er hat sich auch bereits für eine Erhöhung ausgesprochen. Doch mit der Einmischung des Parlaments in die Frage ist er in seiner Entscheidung faktisch nicht mehr frei.

Was Bundesrätin Leuthard wirklich in der rund 1,5 stündigen Grenzwert-Debatte im Ständerat gesagt hat, ist wegen des ausgefeilten Protokollsystems des Parlaments im Bundeshaus für jedermann in Wort und Bild nachprüfbar. Das Video der Debatte mit Leuthard als letzte Rednerin vor der Abstimmung ist hier zu sehen, Wortprotokolle aller Reden gibt es hier. Gemäß Wortprotokoll hat die Bundesrätin nun auf eine Frage nach der zögerlichen Haltung des Bundesrates in der Wahrnehmung seiner Kompetenz zur Änderung der NIS-Verordnung gesagt:

Ja, wir könnten selber entscheiden. Aber sorry, das Parlament hat vor einem Jahr gesagt: kein Handlungsbedarf. Also das nehme ich dann schon noch ernst, wenn Sie sagen: Wir wollen das nicht. Dann sage ich nicht: Ist doch egal, wir machen, was wir wollen. Wir nehmen das Parlament ernst.
Das Zweite: Man will ja im Parlament heute sogar Konsultationen. Sie wollen ja überall nicht nur konsultiert werden, sondern Sie mischen sich ein. Wenn Sie sich in diese Zuständigkeiten schon einmischen, dann übernehmen Sie bitte auch die Verantwortung! Wenn Sie das abweisen, werden wir das weiterhin in die Schublade legen.

In Leuthards Worte lässt sich nun tatsächlich das hinein interpretieren, was die NZZ zuerst knallhart und dann merklich weicher geschrieben hat. Nur mit sehr viel Fantasie könnte die Bundesrätin auch das Gegenteil gemeint haben, wenn sie am Schluss der Passage im Falle einer Ablehnung der Grenzwertlockerung droht: "Wenn Sie das abweisen, werden wir das weiterhin in die Schublade legen." Immerhin soll es ja auch Schubladen geben, die hin und wieder geöffnet werden :-). Diese Interpretation wäre ein Strohhalm für die Netzbetreiber, ein sehr kurzer und dünner Strohhalm allerdings.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Schweiz, Netzverdichtung, Anlagengrenzwert, Leuthard


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