Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund (Allgemein)
Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund
Rechtsvergleichende Überlegungen am Beispiel der Risiken der Mobilfunkstrahlung
von Silvia Delgado del Saz
Taschenbuch, Erstveröffentlichung im Juni 2017, 220 Seiten, 59 Euro
Klappentext: In kurzer Zeit hat das Vorsorgeprinzip eine weite Verbreitung erfahren. Darüber hinaus wurde die Umweltvorsorge in mehreren Rechtsordnungen vom Rechtsprinzip zum Verfassungsrang aufgewertet. Als Hauptursache ihres "Erfolgs" wird die Offenheitdes Vorsorgeprinzips gesehen, die aber zugleich wegen ihrer inhaltlichen Konturlosigkeitsein Hauptkritikpunkt ist. Insbesondere im Hinblick auf die Mitgliedstaaten der EU wird behauptet, dass zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede hinsichtlich seiner Definition, seines normativen Gehalts und seiner Implementationskriterien bestehen. Diese inhaltliche Offenheit beeinträchtigt die verfassungsrechtliche Verbindlichkeit des Vorsorgeprinzips und verhindert die Ausformung von gemeinsamem Verfassungsrecht im europäischen Umweltverbund. Anhand einer Analyse im Bereich der Risiken durch elektromagnetische Felder von Mobilfunkanlagen stellt Silvia Delgado del Saz Inhalt und rechtliche Wirkungen dieses Grundsatzes in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten fest.
Autorin: Geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaft an der Universidad Autonoma de Madrid (UAM); Zusatzausbildung in Internationalem und Europäischem Recht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Bachelor Übersetzen und Dolmetschen (UAM); Master Europäisches Recht (UAM); 2016 Promotion an der Freien Universität Berlin, Promotionsstipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ; seit 2014 Commercial In-house Counsel bei Huntsman Advanced Materials.
Kommentar: Ich habe mit Google-Books ein bisschen gratis in dem Werk geschmökert und bin angenehm überrascht. Nicht nur ein paar Seiten, sondern ein großer Teil des Buches beschäftigt sich damit, wie in europäischen Kernländern der Vorsorgegedanke rechtlich verankert ist, als konkretes Beispiel wird der Mobilfunk herangezogen, der noch immer als Risikotechnik gilt. Leichte Kost wird einem nicht geboten, jedoch auch nicht die substanzlosen flachen Texte, wie sie hierzulande zu ähnlichen Themen von einem Theologen, einem ehemaligen Verwaltungsrichter oder einen ehemalige Literaturprofessor in Umlauf gebracht werden. Del Saz weiß offenbar wovon sie redet und drischt nicht nur das Stroh, das andernorts schon vor ihr gedroschen wurde. So erfährt der Leser durchaus Neues, z.B. das Deutschland das erste Land in Europa war, das den Schutz gegen EMF rechtsverbindlich mit der 26. BImSchV regelte. Spanien und Frankreich folgten erst, als die EU 1999 ihre Empfehlung 1999/519/EC verabschiedete. In Großbritannien gibt es gemäß del Saz bis heute keine rechtsverbindliche Regelung der EMF-Immissionen. Wer hätte das gedacht.
Doch lässt sich auch del Saz aufs Glatteis führen, denn sie wertet die Reports der Bioinitiative aus meiner Sicht zu hoch, indem sie aus diesen Reports ableitet, die Risiken der Mobilfunktechnik seien wissenschaftlich im Sinne eines Kopf-an-Kopf-Rennens umstritten. Doch wer hier regelmäßig mitliest weiß, dies trifft nicht zu. Die EMF-Alarmfraktion der Wissenschaftler hat es geschickt verstanden, durch mobilisieren aufgeregter Privatleute einen Popanz zu erschaffen, den flüchtige Beobachter als ebenbürtigen Gegenpart zum Rest der Bioelektromagnetiker wahrnehmen. Tatsächlich spielt die EMF-Alarmfraktion in der Wissenschaft jedoch eine Außenseiterrolle. Dies wird unerkannt verwischt, wenn Diskussionspodien vermeintlich ausgewogen besetzt werden z.B. mit je zwei Vertreter der gegensätzlichen wissenschaftlichen Lager. Doch um die wahren Kräfteverhältnisse abzubilden, müssten einem Vertreter der Alarmfraktion ungefähr acht bis zehn Vertreter der Entwarnfraktion gegenübergestellt werden! Im amerikanischen Rechtssystem wird in gutachterlichen Streitfällen von diesem Prinzip (Daubert-Standard) Gebrauch gemacht, damit nicht ein rhetorisch begabter Außenseiter einen spröden Vertreter der Mehrheitsmeinung mühelos in die Tasche stecken kann.
Und wer genau hinschaut findet mit Katharina Luginbühl in dem Buch eine streitlustige "elektrosensible" Mobilfunkgegnerin, die nach ihrer Pleite vor dem EMGR (2006) heute mit anderen Mitteln versucht, ihre persönliche subjektiv empfundene Notlage auf Kosten anderer zu sozialisieren.
Hintergrund
"Thank you for Calling": Spatenpaulis Filmkritik (III)
Weltweit 40 bis 55 wegen Mobilfunk besorgte Wissenschaftler
Daubert-Standard trennt Pseudowissenschaft von Wissenschaft
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –