Warum die Schweiz Betrüger anzieht wie das Licht die Motten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 13.11.2016, 00:34 (vor 2937 Tagen)

Dubiose Vereine, Scharlatane, zwielichtige Geschäftemacher – auffallend häufig führten mich Internet-Recherchen über geschäftstüchtige Mobilfunkgegner in die Schweiz. Lange konnte ich mir diesen Sonderstatus des kleinen Landes nicht schlüssig erklären. Dabei ist alles ganz einfach, wenn man nur weiß, wonach man suchen muss.

Was die Schweiz für Schwindler so anziehend macht ist eine Besonderheit im schweizerischen Strafrecht gegenüber dem deutschen.

Für den Tatbestand des Betrugs gelten (laut Wikipedia) in beiden Ländern diese Voraussetzungen:

  • Betrug setzt voraus, dass ein Mensch getäuscht wird.
  • Betrug setzt voraus, dass die Schädigung vom Opfer selbst verursacht wird und dass das Opfer aus freiem Willen und nur auf Grund der Täuschung handelt.
  • Das Opfer muss einem Tatsachenirrtum unterliegen.
  • Das Opfer oder ein Dritter muss am Vermögen geschädigt werden.
  • Es muss eine Bereicherungsabsicht bestehen.

Nur in der Schweiz aber gilt zusätzlich eine weitere Voraussetzung:

  • Die Täuschung des Opfers muss arglistig sein. Mit dieser zusätzlichen Hürde wollen die Schweizer verhindern, dass Denkfaule, die leichtfertig auf jede hanebüchene Versprechung hereinfallen, den Schutz des Strafrechts unverdient genießen.

Nun ist der Nachweis der Arglist jedoch eine so schwierige, langwierige und ungewisse Angelegenheit, dass Betrüger, die in Deutschland verurteilt werden würden, mit demselben Straftatbestand in der Schweiz zumeist unbehelligt bleiben. Nicht wenige Betrüger, die dieses Schlupfloch gezielt nutzen sind Ausländer (Deutsche), die ihre zwielichtigen Geschäfte aus der Schweiz heraus betreiben.

Ein bekennender "Elektrosensibler" in Deutschland hatte 2009 im Rechtsstreit mit einem Lebensversicherer bereits im Rahmen eines widerruflichen Vergleichs eine Zahlung über 30'000 Euro erstritten. Der Sieg war für den Kläger zum Greifen nah. Doch dann widerrief die beklagte Versicherung den Vergleich, es war ihr gelungen, dem Kläger arglistige Täuschung nachzuweisen. Der Fall wurde vor dem OLG weiter verhandelt. Dort obsiegte die Beklagte zur Gänze und der unterlegene Kläger musste auch noch die Gerichtskosten voll übernehmen. Der ansonsten von beträchtlichem Mitteilungsdrang getriebene "Elektrosensible" schweigt verständlicherweise bis heute über diese empfindliche Niederlage. Zu Fall brachte ihn seine arglistige Täuschung.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Täuschung, Schweiz, Betrug, Scharlatane

Strafrecht schützt Dumme und Schwache, nicht aber Faule

H. Lamarr @, München, Sonntag, 13.11.2016, 01:26 (vor 2937 Tagen) @ H. Lamarr

Die Täuschung des Opfers muss arglistig sein. Mit dieser zusätzlichen Hürde wollen die Schweizer verhindern, dass Denkfaule, die leichtfertig auf jede hanebüchene Versprechung hereinfallen, den Schutz des Strafrechts unverdient genießen.

Das Schweizerische Bundesgericht formulierte dies 2006 so:

[...] Wer allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo er sich mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit durch die Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können, soll nicht den Strafrichter anrufen. Einen Freibrief, auf die Gutgläubigkeit und Unvorsichtigkeit des Gegners zu spekulieren, gibt diese Rechtsprechung nicht.

An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht seither festgehalten. Der Opfermitverantwortung kommt zwar wesentliche Bedeutung zu. Mögliche Opfer sollen nämlich in kriminalpolitischer Zielsetzung dazu angehalten werden, ein Minimum an Vorsicht walten zu lassen. Dies darf aber nicht dazu führen, die Arglist einer Täuschung leichthin zu verneinen. Es ist nicht vorausgesetzt, dass das Täuschungsopfer die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle erdenklichen Vorkehren trifft. Arglist scheidet lediglich aus, wenn das Opfer die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet hat. Bei dieser Beurteilung ist nicht in rein objektiver Betrachtungsweise darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich vorsichtiger und erfahrener Dritter auf die Täuschung reagiert hätte. Vielmehr ist die jeweilige Lage und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall zu berücksichtigen, soweit der Täter diese kennt und ausnützt.

Eine Bejahung der Opferverantwortung führt zur Verneinung der Arglist und damit zum Ausschluss der Strafbarkeit des Täuschenden. Damit wird dem Getäuschten die Verantwortung zugeschoben, weil er die zumutbaren elementaren Vorsichtsmassnahmen nicht getroffen hat. Diese Rechtsfolge kann nur in Ausnahmefällen eintreten. Das Strafrecht schützt alle Menschen und darf auch "Dumme und Schwache" nicht schutzlos lassen. Nach der erwähnten Rechtsprechung kann es nicht in Betracht fallen, diese Menschen der Gefahr auszusetzen, von skrupellosen Geschäftemachern straflos hereingelegt zu werden. Wie das Bundesgericht ausführte, wäre es eine sonderbare Rechtsordnung, wenn sie gerade diejenigen, die infolge verminderter Geistesgaben in vermehrtem Masse der Gefahr ausgesetzt sind, sich zu irren, nicht strafrechtlich gegen betrügerische Hervorrufung und Ausnützung von Irrtümern schützen würde. Der Richter hat deshalb auch die Schutzbedürftigkeit des Getäuschten zu erörtern.

Entsprechend hat das Bundesgericht Arglist bejaht, weil das Opfer geistig beeinträchtigt war, obwohl die Täuschung für einen verständigen Dritten offensichtlich gewesen wäre, oder weil der Täter eine in der Opfersituation begründete Unterlegenheit hemmungslos ausgenützt hatte. Der Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung kann nur dort zur Verneinung der Arglist führen, wo eine derartige Unterlegenheit des Opfers nicht besteht, wie dies bei einer Bank der Fall war, die grundlegendste Sorgfaltsmassnahmen missachtet hatte. Damit wurde der besonderen Fachkenntnis und Geschäftserfahrung, wie sie im Rahmen von Kreditvergaben Banken beigemessen wird, Rechnung getragen. Hingegen wurde die Arglist im Falle eines Beteiligten des von Deutschland aus gelenkten European Kings Club bejaht, der in der Schweiz so genannte "Letters" (Anteilscheine) vertrieben und den Käufern eine Rendite von 71 % garantiert sowie eine hundertprozentige Sicherheit von Anlage und Rendite versprochen hatte. Dabei hielt das Bundesgericht fest, das Strafrecht schütze auch unerfahrene, vertrauensselige oder von Gewinnaussichten motivierte Personen vor betrügerischen Machenschaften. Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung führte das Bundesgericht in einem weiteren Fall, in dem Privatpersonen ohne besondere Fachkenntnis und Geschäftserfahrung Geldbeträge angelegt hatten, aus, es möge zutreffen, dass die Opfer leichtgläubig auf die grosssprecherischen Angaben im Prospekt vertraut hätten und sich von den überzogenen Gewinnmargen hätten blenden lassen. Doch könne dies angesichts der ausgeklügelten Vorgehensweise nicht dazu führen, dass ihnen der strafrechtliche Schutz versagt werde. Der Gedanke der Opfermitverantwortung habe nicht in jedem Fall, in welchem sich das Handeln der Opfer durch ein erhebliches Mass an Naivität auszeichne, zur Folge, dass der Täter straflos ausgehe. [...]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Geschäftemacher, Irreführung, Irrtum, Tauschung, Freibrief, LügeOpfer

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