Hühnerembryonenstudie: Warum die Replikation scheitern musste (Allgemein)
26.11.2003: Der Pysiker Dr. Stefan Spaarmann, engagiert beim hese-project, verfasst eine deutsche Kurzdokumentation der russischen Hühneremryonen-Studie: Der Einfluß des elektromagnetischen Feldes des Handys auf Hühner-Embryonen. (Zur Bewertung der Gefahr nach der Mortalität) (Doc-Datei).
Anscheinend hat sich niemand die oben verlinkte Kurzdokumentation von Dr. Spaarmann näher angesehen, obwohl die Datei fleißig verteilt wurde und z.B. auch auf der Website von Dr. med. G. Oberfeld zu finden ist. Auch ich muss gestehen, dass ich mich erst gestern damit befasst habe - und aus allen Wolken gefallen bin. Nicht einmal der Name Grigor'ev wurde richtig wieder gegeben.
Ein Problem dieser Kurzdokumentation ist die Übersetzung durch einen ungelernten Übersetzer, der zwar russisch versteht, dem die Terminologie der Mobilfunktechnik jedoch fremd ist. Dies führt dazu, dass die Beschreibung der Exposition der Hühnereier an den Rand der Unverständlichkeit gerät. Dabei geht es ganz harmlos los, der Anfang ist noch problemlos zu verstehen:
Die Embryonen wurden m Verlauf der gesamten embryonalen Entwicklung (21 Tage) der Bestrahlung durch das elektromagnetische Feld eines GSM 900/1800 Handys unterworfen, welches über der Platform mit den Eiern in einer Entfernung von 10 cm. befestigt war.
Aber dann trägt es Spaarmann weit aus der Kurve:
Das (durch einen elektrischen Kommutator) entfernte Handy wurde periodisch für 1,5 Minuten ins Regime „Anruf“ überführt, danach für 0,5 Minuten beseitegeschoben. In solcher Reihenfolge wurde das Telefon während der ganzen 21 Tage geschaltet.
Dieses Textfragment kann alles möglich bedeuten, z.B. dass es für 1,5 Minuten Dauer eine Verbindung gab (kurzes Handy-Telefonat), dann aufgelegt wurde und nach 0,5 Minuten erneut ein 1,5-Minuten-Telefonat gestartet wurde. Oder es wurde von einem zweiten Handy (entferntes Handy) das eigentliche Versuchshandy mit 0,5 Minuten Unterbrechung immer wieder angerufen (Versuchshandy klingelte 1,5 Minuten lang). Wie es wirklich war, lässt sich anhand der vorliegenden Informationen zweifelsfrei nicht sagen.
Weiter heißt es in der Kurzdokumentation:
Die instrumentelle Kontrolle der Intensität des elektromagnetischen Feldes innerhalb der Inkubators wurde mit Hilfe eines breitbandigen Meßgerätes EMR-20 (0,1 -300 MHz) und eines Frequenzanalysators im Bereich 5 Hz – 30 kHz EFA-3 (beide von der Fi. „Wandel & Goltermann“, BRD) durchgeführt.
Mein lieber Dr. Spaarmann, wie soll dies denn funktioniert haben? Ein GSM-Handy mit mindestens 900 MHz Trägerfrequenz (GSM900) mit einem Messgerät zu kontrollieren, dem schon bei 300 MHz die Puste ausgeht? Oder haben Sie eine Null unterschlagen und ein EMR-20 kann in Wahrheit bis 3000 MHz messen? Und warum verbreitet das hese-project ein derart fehlerhaftes Dokument ohne jegliche Qualitätsprüfung?
Das Chaos dieses Dokuments ist damit aber noch nicht zuende.
Es gibt nicht eine einzige quantitativen Angabe zur Exposition der Embryonen, wie vielen V/m sie denn nun eigentlich ausgesetzt waren. Also bitte! Wozu Messungen mit dem EMR-20, wenn dann die Messwerte nirgendwo stehen?
Ich meine zu wissen, warum kein einziger Messwert genannt wird. Allem Anschein nach ist der Versuchsaufbau von Grigor'ev ziemlich laienhaft gewesen. Denn ein Handy, das im öffentlichen Netz eingebucht ist, wie es bei Grigor'ev augenscheinlich der Fall war, ist ein Spielball der nächstgelegenen Basisstation. Diese Basis und nicht Grigor'ev sagte dem Versuchshandy, mit welcher Leistung und in welchen Frequenzband (900 MHz oder 1800 MHz) es senden sollte. Heißt im Klartext: Der Versuch fand unter nicht reproduzierbaren Bedingungen statt, es konnte sogar sein, dass das Versuchshandy mal auf GSM900 mit 2 W Maximalleistung sendete, mal auf GSM1800 mit nur 1 W Maximalleistung. Was Grigor'ev fehlte war ein Funkmessplatz, der sich gegenüber dem Versuchshandy als Mobilfunk-Basisstation ausgibt und so kontrollierte Versuchsbedingungen ermöglicht (Beispiel).
Fazit: Obwohl hier nur eine Kurzdokumentation der Hühnerembryonenstudie von Prof. Grigor'ev vorliegt, deutet alles darauf hin, dass diese Studie qualitativ eine Katastrophe ist, zumindest was die kontrollierte Exposition der Hühnereier anbelangt. Und ausgerechnet diese Studie suchte sich das hese-Projekt heraus, um sie zu wiederholen. Wer immer dort für die Auswahl der missratenen Grigor'ev-Studie verantwortlich war, er wusste nicht was er tat, und legte noch vor Beginn der Replikation den Grundstein für deren Scheitern. Es ist davon auszugehen, hese hat an dem super-simplen Versuchsdesign der Studie Gefallen gefunden, niemand dort aber war fachlich in der Lage, die gravierenden Schwächen des Designs, so wie es Spaarmann beschreibt, zu erkennen, und diese Wiederholungsstudie zu verhindern.
Nach Sichtung von Spaarmanns Kurzdokumentation ist mir klar, warum hese so krachend scheitern musste. Das liegt jedoch mMn weniger an der schlechten Grigor'ev-Studie, sondern an überheblichen Möchtegernwissenschaftlern, die glaubten, sich eine einfache Studie angeln zu können, deren erfolgreiche Wiederholung sie berühmt gemacht hätte. Tatsächlich war das Projekt der Anfang vom Ende des hese-projects: Die Wiederholung von Grigor'evs Hühnerembryonenstudie war das erste "Forschungsprojekt" von hese - und zugleich das letzte. Das Project ist aus meiner Sicht heute nur noch eine tote Hülle, einzig die Foren zeigen noch Lebenszeichen wobei jedoch unklar ist, wie viel davon echt und wie viel nur vorgetäuscht ist.
Hintergrund
Biological effects of mobile phone electromagnetic field on chick embryo (risk assessment using the mortality rate - spindeldürrer Pubmed-Eintrag der Grigor'ev-Studie.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
gesamter Thread:
- hese-project: Die Historie der Hühnerembryonen-Studie -
H. Lamarr,
09.09.2012, 16:27
- hese-project und die reale Wissenschaft - Alexander Lerchl, 09.09.2012, 21:11
- Hühnerembryonenstudie: Warum die Replikation scheitern musste -
H. Lamarr,
20.07.2014, 02:24
- hese-project mit E-Mail-Adresse @uni.de - H. Lamarr, 20.07.2014, 18:52