UMTS-Studie: Manipulationsverdacht entkräftet (I) (Forschung)
[Hinweis: Nach Prüfung bzgl. Verbotsbehauptung wieder frei gegeben am 05.08.2013]
Mit freundlicher Genehmigung des hese-projects geben wir in der Affäre um zwei angeblich manipulierte Mobilfunkstudien der Med. Uni Wien die jüngste Stellungnahme von Prof. Rüdiger wieder, wie sie heute (1. Juni) im hese-Forum erschienen ist. Die neue Sachlage, dass nämlich die Verblindung der hochfrequenten Kammer während aller publizierten Experimente ununterbrochen gegeben war, beruht maßgeblich auf einem Gespräch, das am 29. Mai zwischen Rüdiger und der in die Affäre verwickelten Laborantin stattfand.
Bitte diskutieren Sie in diesem Stang diszipliniert ausschließlich zum Thema und vermeiden Sie Schwenks zu anderen Themen. Die Moderatoren haben Anweisung, themenferne Diskussionstriebe kommentarlos zu entfernen.
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Angebliche Datenmanipulation an der Medizinischen Universität Wien
Eine Chronologie
Vor etwa einem Jahr erhielt der Rektor der Medizinischen Universität Wien ein Schreiben eines Prof. Alexander Lerchl aus Bremen, in welchem der Vorwurf einer Datenmanipulation erhoben wurde. Dieser Vorwurf bezieht sich auf eine Publikation aus der ehemaligen Klinischen Abteilung für Arbeitsmedizin "Non-thermal DNA breakage by mobilephone radiation (1800 MHz) in human fibroblasts and transformed DFSH-R17 rat granulosa cells in vitro" (Diem E. Schwarz C., Prof. A. F., Jahn O., Ruediger H.W.; Mutation Research 583: 178 - 183; 2005). Diese Vorwürfe wurden aber von der Medizinischen Universität zunächst zum Anlaß genommen die Kommission für Wissenschaftsethik damit zu befassen. Dies änderte sich, als im Frühjahr 2008 durch den Rektor der Medizinischen Universität diese Kommission neu zusammengesetzt wurde. Diese neu zusammengesetzte Kommission hat nunmehr die Vorwürfe aufgenommen und zunächst das Gutachten eines Statistikers eingeholt. Dieser kam zu der Auffassung, dass aus der statistischen Analyse der produzierten Daten nicht zwingend geschlossen werden kann, dass die Daten nicht korrekt erhoben wurden. Prof. Lerchl hat ähnliche Vorwürfe auch gegenüber den Herausgebern der Zeitschrift Mutation Research und Int Arch Occup Environ Health geäußert, um eine Rücknahme der Veröffentlichung Diem et al. zu erreichen. Die Herausgeber beider Journale haben daraufhin ebenfalls die publizierten Daten jeweils durch Statistiker überprüfen lassen, die auch zu dem Ergebnis kamen, dass aus der Statistik ein Fehlverhalten nicht zwingend ableitbar sei.
Dies war die Situation, als überraschend dem Rektorat gemeldet wurde, dass eine Laborantin der Arbeitsmedizin Daten gefälscht hat, die sie im April 2008 untersuchen hätte sollen. Die angeschuldigte Mitarbeiterin, welche seit 10 Jahren im Labor der Arbeitsmedizin beschäftigt war, als hoch qualifiziert gilt, und mehrere Einladungen in den vergangenen Jahren in Labors im Ausland erhalten hat, hat dieses Fehlverhalten sofort zugegeben, wollte dafür aber kein Motiv nennen. Sie betont aber ausdrücklich, dass sich dieses Eingeständnis nur auf Vorgänge im April 2008 bezieht, und dass alle in der früheren Zeit unter ihrer Mitwirkung erhobenen Daten ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Überraschend ist auch, dass die Fälschungen im April sehr plump vorgenommen und auch im Laborbuch der Laborantin schriftlich dokumentiert wurden, so als habe sie es direkt darauf angelegt, dass jemand darauf aufmerksam wird.
Der interimistische Leiter der Arbeitsmedizin und Dienstvorgesetzte der beschuldigten Technischen Assistentin schrieb an die Kommission, daß die seit 2006 habe erkennen können, welche der beiden Kammern der Hochfrequenzexpositionsanlage im Labor jeweils das elektromagnetische Feld getragen habe und welche als unbelastete Kontrolle fungierte (Zur Erklärung: Die Expositionseinrichtung besteht aus 2 Kammern, für welche die elektronische Kontrolleinheit mit Hilfe eines Zufallsgenerators bestimmt, welche Kammer jeweils exponiert ist. Dies ist normalerweise durch den Untersuchenden nicht zu erkennen und wird in einer codierten Datei abgelegt. Diese Datei wird nach Auswertung der Versuche auf elektronischem Wege in das Herstellerlabor der Kammer in Zürich übermittelt, und von dort kommt dann im Gegenzug die Information, welche Kammer des aktuellen Experiments befeldert war.) Zusätzlich zu dieser Verblindung gab es noch eine Codierung vor der Auswertung der Präparate im Labor, so dass gewissermaßen eine doppelte Verblindung gegeben war. Es ist aber klar, dass im Falle einer nicht mehr gegebenen Verblindung der Expositionskammern auch ein wesentliches Qualitätsmerkmal für die produzierten Ergebnisse wegfiele, trotz der zusätzlich vorhandenen laborinternen Codierung. Dieser Umstand beträfe jedoch nicht alle jene Arbeiten, die vor dem Jahr 2006 entstanden sind, sondern könnte sich nur auf eine einzige Publikation aus dem Februar 2008 beziehen: "Radiofrequency electromagnetic fields (UMTS 1950 MHz) induce gentoxic effects in vitro in human fibroblasts, but not in lymphocytes"; Schwarz C., Kratochvil E., Pilger A., Kuster N., Prof. A. F., Ruediger H.W.; International Archives of Occupational and Environmental Health 81:755 - 767; 2008.
Dennoch kommt - ohne Prüfung der Daten oder Anhörung von Prof. Rüdiger - die vom Rektor neu zusammengesetzte Kommission für Wissenschaftsethik zu dem Schluss, dass sämtliche zurückliegende Publikationen, an denen die Laborantin beteiligt war, zurückzuziehen sind. Dabei handelt es sich um 8 Publikationen, bei denen die beschuldigte Mitarbeiterin als Co-Autorin fungiert. Merkwürdigerweise empfiehlt die Kommission aber nur das Zurückziehen der Arbeiten betreffend Mobilfunkfelder, die anderen Arbeiten werden nicht einmal erwähnt.
Entsprechend diesem Votum der Kommission verlangt dann der Rektor von Prof. Rüdiger die Unterschrift unter zwei Letters of Retraction für beide Publikationen über erbgutschädigender Wirkungen von GSM (2005) und UMTS (2008). Dessen Einwände, dass an der Richtigkeit der publizierten Daten kaum ein Zweifel bestehen könne, nachdem diese von unabhängigen Arbeitsgruppen bestätigt wurden, und dass der Vorwurf einer nicht eingehaltene Verblindung für die Publikation aus dem Jahr 2005 sowieso nicht zutreffe, ließ der Rektor nicht gelten, sondern berief sich in seiner Entscheidung auf das "Votum einer unabhängigen Kommission". Herr Rüdiger müsse sich dem Votum einer unabhängigen Kommission beugen, auch wenn er selber von der Richtigkeit der Daten überzeugt sei.
Fortsetzung in Teil II
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –