Das Märchen vom Patt (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.01.2017, 18:13 (vor 2858 Tagen) @ diagnose:falsch

Inzwischen gibt es ja eine Vielzahl an Studien pro und contra Schädlichkeit von Mobilfunk. Können wir von einem Patt beider Seiten ausgehen? Oder gibt es eine eindeutige Tendenz?

Seit mindestens zehn Jahren erzählen Mobilfunkgegner an ihren Lagerfeuern das tröstliche Märchen vom Patt. Das baut auf, scheint doch der Sieg (wieder einmal) greifbar nahe.

Zuerst wurde das Patt einfach nur unbelegt behauptet. Inzwischen sind die Jungs schlauer und behaupten das Patt "faktengestützt". Diagnose-Funker Gutbier behauptet z.B. <hier> ab Minute 31:00, es gäbe in der "Referenzdatenbank der WHO" – es ist ihm offenbar unangenehm, das EMF-Portal mit Namen zu nennen – 1200 bis 1300 Mobilfunkstudien (es sind derzeit 244+1085=1329), von denen DF 700 "ausgewertet" hätte, manche sogar mit "Fachwissenschaftlern". Alle so ausgewerteten Studien hätten Effekte gefunden. Sagt er, der "Experte".

Von 1300 sind 700 ungefähr 50 %. Das riecht nach Patt. Aber: Gutbier hat die restlichen 600 Studien noch nicht ausgewertet. Und wenn er das getan hat, wird er womöglich noch immer sagen: Bei allen Effekte gefunden! Was lässt sich dagegen einwenden?

Gibt es eigentlich eine Zunahme an den von den MF-Gegnern prognostizierten Krankheiten? So neu ist die Benutzung von Mobiltelefonen inzwischen auch nicht mehr.

Selbstverständlich gibt es so eine Zunahme. Aber nur, wenn Sie Diagnose-Funk glauben, die haben sogar ein lustiges Schaubild mit allerlei steil nach oben zeigenden Kurven ab dem Zeitpunk, da Mobilfunk eingeführt wurde. Dieses Schaubild ist jedoch sogar mir zu doof, um es hier zu kommentieren, wer es findet, kann es ziemlich leicht selbst widerlegen, wie alles, was von diesem Verein kommt.

Wissenschaftler haben mal untersucht, inwieweit die vom (alten) "Freiburger Appell" beschworene Zunahme von Wehwehchen und ernsten Krankheiten von den Gesundheitsstatistiken gestützt wird. Und es kam so, wie es kommen musste. Einen Auszug aus dieser (kostenpflichtigen) Studie finden Sie <hier>.

Was ist denn von dem "Report of Partial Findings from the National Toxicology Program Carcinogenesis Studies of Cell Phone Radiofrequency Radiation" (NTP) zu halten? Welche Folgen hat dieser Report auf die Diskussion über WLAN und Mobilfunk?

"Für die gesellschaftliche Diskussion sind die Resultate nicht unmittelbar bedeutsam, denn eine Verallgemeinerung auf den Menschen oder Schlussfolgerungen hinsichtlich Grenzwerten sind nicht möglich und wären zum gegenwärtigen Zeitpunkt voreilig.", sagen in der Schweiz die "Krebsliga" und die "Forschungsstiftung Strom und Mobilfunk" (FSM) in einer gemeinsamen Erklärung. Was bislang von NTP bekannt ist, ist nur ein Zwischenbericht der Forscher, es fehlen der Abschlussbericht und die wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse.

Die Schweizer Studie "Beurteilung der Evidenz für biologische Effekte schwacher Hochfrequenzstrahlung" aus 2014 liefert laut Forum Evidenz für die Schädlichkeit von EMF unterhalb der Grenzwerte? Was heißt das konkret für die gesundheitliche Gefährdung?

Das ist keine Studie, sondern der turnusmäßig seit 2003 alle paar Jahre erscheinende Bericht einer schweizerischen EMF-Expertenkommission, deren Mitglieder von Mobilfunkgegnern übel angegriffen werden. Und weil wir hier über W-Lan reden, die geschilderte begrenzte Evidenz jedoch für SAR-Werte gilt (siehe Seite 38, Tabelle 5), die von W-Lan (50 mm Abstand zum Körper) bei weitem (Faktor 100 bis 1000) nicht erreicht werden (siehe Seite 11, Abb. 1), gibt der Bericht aus meiner Sicht 0,000 her, um Ängste gegenüber W-Lan zu schüren.

Vielleicht hilft Ihnen diese Analogie: Diagnose-Funk warnt hysterisch vor der tödlichen Bedrohung durch Dihydrogenmonoxid, bringt bestürzende Beispiele von Vergifteten und von jeder Menge Leichen. Üble Sache, mit diesem Zeug ist nicht zu spaßen. Stimmt. Ohne Dihydrogenmonoxid geht es aus naheliegenden Gründen jedoch erst recht nicht. Im Rahmen dieser Analogie wäre das Handy ein Dorfteich, W-Lan ein Glas Wasser. Es wäre mir neu, dass man im Glas ertrinken kann.

Die kanadische Studie "Radiofrequency Toolkit for Environmental Health Practitioners" aus 2013 prognostiziert wohl Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit.

Ja, kann schon sein. Andere Studien sagen das Gegenteil. Ich kann die Qualität dieser Arbeiten nicht beurteilen und überlasse die Bewertung daher besser Qualifizierten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Analogie, Inszenierung, Profiteur, Außenseiter, Märchen, Trugschluss, Bioelektromagnetik, Patt, BEMS, Laienorganisation, Faktencheck, Plurv, Märchenstunde


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