FDA mit Mobilfunk-Großstudien glücklos (Forschung)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 06.11.2018, 19:38 (vor 2214 Tagen) @ H. Lamarr

Mit der NTP-Studie erlebt die FDA ihre zweite "Pleite" mit einer US-amerikanischen Mobilfunk-Großstudie. Die erste war 1993. Der Tod einer jungen Frau, die intensiv ein Mobiltelefon nutzte, löste im Januar 1993 nach einem Auftritt ihres Ehemanns im US-Fernsehen nicht nur in den USA große Bestürzung aus. Was dann passierte habe ich diesem IZgMF-Beitrag entnommen:

Am 29. Januar 1993 trat die Industrie zur Gegenoffensive an. Thomas Wheeler, Chef der “Cellular Telephone & Internet Association” (CTIA), hatte zu einer Pressekonferenz geladen, auf der er sagt, mehr als 10’000 Studien in 40 Jahren hätten keine Belege dafür erbracht, dass es zwischen Mobiltelefonen und Gesundheitsrisiken einen Zusammenhang gäbe. Zugleich kündigt Wheeler an, Mittel für weitere Forschung bereit zu stellen, um der Besorgnis der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Die Behörde FDA (Food and Drug Administration) könne als neutrale Instanz die Forschung überwachen. Gut vier Monate später, am 16. Juli, macht Wheeler Nägel mit Köpfen: Er kündigt die Einrichtung eines 25 Mio. Dollar schweren WTR-Forschungsprogramms an (Wireless Technology Research), das über fünf Jahre laufen und die Sicherheit von Mobiltelefonen untersuchen soll. Seine Zusage, die FDA könne diese Arbeit kontrollieren, zieht der CTIA-Präsident jedoch zurück [Wheeler ist heute Chef der US-Zulassungsbehörde FCC für Gerätschaft der Kommunikationstechnik, Anm. "Spatenpauli"].

Zum Leiter des Forschungsprogramms ernennt die CTIA einen Experten, der Erfahrung im Vertuschen hat: Dr. George Carlo. Der Mann hat schon früher anderen Industrien aus ähnlichen Situationen heraus geholfen. So war er mit dem “Chlorine Institute” daran beteiligt, die Gefahren des Dioxins herunter zu spielen, für Philip Morris leitete er eine Studie, die belegt, dass voreingenommene Wissenschaftler dazu neigen, die Gefahren des Passivrauchens zu überschätzen [7]. Stille Erwartungen der Mobilfunkindustrie an Dr. Carlo sollten sich indes nicht erfüllten: Am Schluss des WTR-Programms trat Carlo im Juni 1999 in Long Beach, Kalifornien, auf einem Kolloqium über mögliche Gesundheitsrisiken von Mobiltelefonen auf, und berichtete, Handys könnten Krebs und andere Gesundheitsschäden verursachen. Bis heute ist nicht klar, ob George Carlo hier seinem Gewissen folgte und Internas seiner Forschung preis gab, oder ob er sich im Auftrag einer anderen Industrie äußerte, für die er zuvor gearbeitet hat (Big Tobacco).

Von dem teuren WTR-Programm fehlt heute jede Spur. George Carlo behauptet dennoch bis in unsere Tage, dem Programm seien 50 peer-reviewed Studien entsprungen. Louis Slesin, Herausgeber von Microwave News und Erzfeind Carlos sieht dies anders und forderte erst kürzlich Carlo zum wiederholten Male auf, endlich diese 50 Studien zu benennen. Bislang konnte Carlo sich mit Ausreden erfolgreich davor drücken.

Pleite habe ich oben in Anführungszeichen gesetzt, denn die NTP-Studie ist nur aus Sicht von wenigen eine Pleite. Das hat etwas mit der Psyche von uns Menschen zu tun. Warnungen empfinden wir als aufregend, von den Medien werden sie daher mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Entwarnungen sind langweilig und müssen sich, ähnlich wie presserechtliche Gegendarstellungen, in den Medien mit hinteren Plätzen begnügen. Ähnlich verhält es sich mit wissenschaftlichen Studien: Alarmstudien bringen Wissenschaftlern viel Aufmerksamkeit, gescheiterte Replikation einer Alarmstudie hingegen wenig. Vielleicht ist auch das mit ein Grund, warum die NTP-Studie von den Verantwortlichen künstlich dramatisiert wurde. Dabei ist es für rund 6 Mrd. Nutzer von Mobiltelefonen weltweit ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk, dass die NTP-Studie keine Gefährdung von Menschen durch Smartphones und Handys finden konnte, von Sendemasten ganz zu schweigen. Dies enttäuscht ganz sicher die kleine Riege der verbohrten Mobilfunkgegner und ein paar Sensationsblätter, vielleicht auch die Geldgeber der Studie – alle anderen aber dürfen sich freuen wie ein Schnitzel.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Handy, Tabak, Carlo, CTIA, NTP-Studie, WTR, Microwave News, Wheeler


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