Das Bewusstsein für Strahlenschutz geht gegen Null (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 19.03.2015, 11:10 (vor 3538 Tagen) @ H. Lamarr

Auf der Website des Arbeitskreises Mobilfunk für Feldkirchen-Westerham heißt es:

Eine offene Erörterung aller Vor- und Nachteile wäre allein schon deshalb sinnvoll, weil Gesundheitsvorsorge und Nutzen mobiler Dienste ohne große Mühe vereinbar wären. Leider musste das Bundesamt für Strahlenschutz im Juni 2014 vermelden: "Das Bewusstsein für Strahlenschutz geht gegen Null."

Das Textfragment liest sich so, als ob die Nutzung mobiler Dienste mit einem Gesundheitsrisiko verbunden und das Bundesamt für Strahlenschutz besorgt wäre. Und die Einschätzung "leider" kaufe ich dem Verfasser des Textfragments nicht ab, ebenso gut hätte er "Gott sei Dank" schreiben können, konnte er doch dem BfS einen wunderschönen Alarmismus aus den Rippen schneiden. Ob es tatsächlich einer ist werden wir sehen.

Da ich das knackige Zitat des BfS nirgendwo anders als beim Arbeitskreis selbst finden konnte, fragte ich Theo Schneider, Sprecher des Arbeitskreises, nach der Quelle. Doch der Sprecher zog es vor zu schweigen.

Mein Fehler: Ich suchte nach dem Zitat im Wortlaut. Tut man das nicht, ist die Quelle schnell gefunden. Sie sprudelte nicht im Juni, sondern im August 2014. Gemäß Presse-Information des BfS lautet der Originaltext:

„Dass das Mobiltelefon und vor allem der Minicomputer ‚Smartphone‘ unter Kindern immer beliebter und verbreiteter ist, mag kaum überraschen. Dass aber gleichzeitig das Bewusstsein für den Strahlenschutz gegen Null geht, ist ein beunruhigender Trend“, sagt Dr. Thomas Jung, Leiter des Fachbereichs Strahlenschutz und Gesundheit im BfS.

Der Arbeitskreis hat das Zitat nicht nur passend zurecht gestutzt und dem Amt in den Mund gelegt, er hat es auch aus dem Zusammenhang gerissen. Jung bezieht seine Aussage explizit auf Kinder und Jugendliche, wenngleich es bei Erwachsenen nicht recht viel besser aussieht.

Wie nun Kinder am besten zu schützen sind, dazu hat Thomas Jung einige Tipps parat, z.B. diesen:

Deaktivieren Sie beim Smartphone Ihres Kindes „Datenverbindungen über Mobilfunk“. Damit ist es telefonisch erreichbar und kann unterwegs offline spielen. Wer unbedingt auf dem Smartphone online spielen will, sollte das zuhause über eine WLAN-Verbindung tun. Bei WLAN ist die Sendeleistung in der Regel niedriger als bei den Mobilfunkstandards UMTS, GSM oder LTE.

Aller Voraussicht nach wird der Arbeitskreis von diesem Tipp entsetzt sein und ihn nicht weiter empfehlen. Auf die Laien des Arbeitskreises muss Jungs Rat wirken, als ob sie den Teufel (Mobilfunk) mit dem Belzebub (W-LAN) auszutreiben sollen. Vorsorge ist eben nicht gleich Vorsorge. Sie kann mit Sachverstand betrieben werden (Alara-Prinzip), hapert es daran, ist unvernünftige Vorsorge nach dem "Alaa"-Prinzip angesagt.

Je weniger Mobilfunkgegner über ihr Corpus Delicti wissen, desto anfälliger sind sie für Einflüsterungen selbsternannter Experten. Mobilfunkkritik ist allzu häufig keine Wissens-, sondern eine Glaubensfrage. Ein Indiz für die Glaubensstärke eines Mobilfunkgegners ist sein Fai­b­le für Zitate. Wer selbst nicht allzu viel beizutragen hat, bedient sich notgedrungen der Expertise anderer, gerne auch als Zitat, aber nur, wenn der Zitatgeber die Aura von Kompetenz und Wichtigkeit hat.

Als ich Herrn Schneider am 11. März um die Quelle für das BfS-Zitat bat, blieb die Antwort aus. Auf der Website des Arbeitskreises aber tat sich etwas. Am 12. März kam dort eine neue Textpassage hinzu, freundlicherweise mit Link zur Quelle:

Trotz einer Vielzahl wissenschaftlicher Belege jahrelanges Nichtstun statt konkreter Schritte zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung? Wie so etwas möglich ist, erläutert Bestseller-Autorin Prof. Naomi Oreskes in SZ-Wissen am 04.11.2014: Vorsorge würde sich nicht lohnen, solange noch Zweifel bestünden - so wurde in den USA jahrzehntelang u.a. eine Vorsorgepolitik zum Agenda21-Ziel Klimaschutz verhindert. Am Ende des Interviews ein sehr bezeichnender Satz über Mobilfunk... Prof. Naomi Oreskes im SZ-Interview

Wieder muss die Expertise anderer herhalten, diesmal soll eine Bestsellerautorin im Rang einer Professorin die Kohlen für den Arbeitskreis aus dem Feuer holen. Was mir zu dem "bezeichnenden Satz" Oreskes' einfallen wollte, habe ich Anfang Februar kund getan. Leider hat sich auf dieses Posting niemand gemeldet, der dem "bezeichnenden Satz", der in Wahrheit nur eine Andeutung ohne Belege ist, etwas mehr Substanz eingehaucht hätte.

Ganz unten auf der Website des Arbeitskreises steht die zentrale Idee dieses Arbeitskreises:

Zentrale Idee ist die Minimierung der Mobilfunkstrahlung - auch deutlich unterhalb der Grenzwerte. (Vorsorgeprinzip)

Okay, Jungs, wenn das wirklich eure zentrale Idee ist, dann dürft ihr auf der Stelle euer Zeugs zusammen packen und fröhlich pfeifend nach Hause gehen. Denn dies Ziel ist auch ohne eure Mitwirkung überall in Deutschland erreicht worden. Sendemasten-Grenzwerte werden schlimmstenfalls zu kleinen Prozentwerten ausgeschöpft, in aller Regel liegen sie tausendfach über den tatsächlichen Immissionen. Beleg: Schaut euch einfach mal die Messwerte an den Messpunkten in der EMF-Datenbank der BNetzA an. Oder redet ihr etwa vom Handy-Grenzwert? Das wäre sensationell, ihr wäret damit die ersten Mobilfunkgegner, die sich für den Handy-Grenzwert interessieren. Dort ist die Grenzwertausschöpfung viel höher und deshalb gibt es schon seit langem ein paar brauchbare Vorsorgetipps. Für euch ist auch auf dieser Baustelle nichts mehr zu tun, was nicht schon getan worden ist. Die Mobilfunkdebatte tobte nämlich schon ein paar Jahre bevor Herr Schneider sie entdeckte und Gefallen daran fand.

Keinen Deut besser als der Agenda21-Arbeitskreis Mobilfunk zu Feldkirchen-Westerham, bediene auch ich mich zum Schluss noch schnell der Expertise einer Bestsellerautorin, die dereinst nüchtern feststellte:

Wer nichts weiß, muss alles glauben (was andere einem auftischen)

Wenn du also keine Ahnung hast, aber dennoch unbedingt mitreden möchtest, hüte dich vor dem Munkeln & Raunen selbsternannter Experten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Filz, Dilettantismus, BfS, Zitatverfälschung, Knotenpunkt, Bund-Naturschutz, Agenda 21, Schneider, Arbeitskreis, Mount Stupid, Kompetenzgefälle, Jung


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