Mikrowellensyndrom aus psychiatrischer Sicht (Allgemein)
Das von Frau Dr. med. Waldmann-Selsam erfundene Mikrowellensyndrom hat viele Namen, Psychiater kennen es als Öko-Syndrom. Aber lesen Sie selbst, was Prof. Dr. med. Volker Faust, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, dazu zu sagen hat:
Immer mehr Menschen fühlen sich von einer wachsenden Zahl von Umweltbelastungen gesundheitlich bedroht. Die meisten halten sich erst einmal unsicher zurück, zumal sie auch wenig Hoffnung haben, konkrete Hilfe zu finden. Eine wachsende Zahl von Betroffenen aber fühlt sich derart beeinträchtigt, ja bedroht, dass sie sich hilfesuchend an die entsprechenden (meist ärztlichen) Institutionen wendet. Dafür gibt es inzwischen auch spezialisierte Ambulanzen bzw. umwelt-medizinische Zentren, die sich einer solchen Multiplen chemischen Sensitivität (Umweltkrankheit, umweltbezogene Gesundheitsstörung, umweltbedingte Intoleranz, „Öko-Syndrom“) annehmen.
Nach deren Statistik betrifft es vor allem relativ viel Frauen, Menschen jenseits des 50. Lebensjahrs, überdurchschnittlich viel Ledige und solche mit höheren Schulabschlüssen (und einer gerade auf diesem Gebiet erstaunlichen Vorbildung), aber auch mit einer Fülle unspezifischer Beschwerden belastet (meist Kopf, Herz, Magen-Darm, Haut, Schleimhäute u.a.).
Häufig finden sich aber auch offensichtlich bahnende psychosoziale Faktoren, die eine mögliche Über-Anfälligkeit erst richtig zum Ausbruch bringen: Stress, depressive oder Angst-Reaktionen, zwischenmenschliche Belastungen, berufliche Überforderung, bisweilen auch unerkannte seelische Störungen (Depressionen, Angsterkrankungen, psychosomatische Beeinträchtigungen).
Deshalb ist es mitunter sehr schwer, die Betroffenen davon zu überzeugen, dass es sich hier um ein Phänomen auf mehreren Ebenen handeln kann: umweltbedingt, körperlich, seelisch, psychosozial. Die meisten wollen den in ihren Augen „schuldigen“ Auslöser diagnostiziert und „abgestellt“ haben. Das ist nur selten möglich. Der Versuch der Fachleute, die subjektiv belastende bis quälende Beeinträchtigung über mehrere therapeutische Schritte hinweg anzugehen, wird leider oft abgelehnt, wenn es sich um vermutete psychosoziale Ursachen handelt („ich lasse mich doch nicht psychiatrisieren“). Dadurch sind gerade den psychiatrischen und psychotherapeutischen Experten die Hände gebunden, der Erfolg lässt zu wünschen übrig, die Enttäuschung steigt und es beginnt dass, was man ein kostspieliges und letztlich unnützes „doctor-shopping“ nennt - besonders zum Nachteil der Hilfesuchenden.
Deshalb ist es so wichtig, dass man sich nicht nur über die umweltbedingten Ursachen, sondern auch über mögliche psychologische Hintergründe kundig macht. Es ist keine Diskriminierung, in einer immer komplexer werdenden Umwelt nicht nur chemische oder technische Belastungsfaktoren, sondern auch die individuelle seelische und körperliche Belastbarkeit in eine dann erfolgreichere Diagnose- und Behandlungsstrategie einzubinden. ... mehr
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –