Neue EU-Richtlinie 2013/35/EU: EMF am Arbeitsplatz (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 02.02.2014, 03:22 (vor 3953 Tagen)

In Frankreich hat die neue EU-Arbeitsschutzrichtlinie 2013/35/EU (PDF, 21 Seiten, deutsch) vom Juni 2013 im Dezember 2013 zu einer größeren Veranstaltung des französischen Strahlenschutzes geführt, um die Richtlinie dem Fachpublikum dort bekannt zu machen.

Doch wieso überhaupt 2013/35/EU? War nicht 2004 unter gleich lautendem Titel eine andere Richtlinie herausgebracht worden, nämlich 2004/40/EG (PDF, 9 Seiten, deutsch)?

Stimmt!

Doch die alte Richtlinie litt unter Geburtsfehlern, Langzeiteinwirkung von EMF auf Arbeitnehmer schloss sie z.B. explizit von der Betrachtung aus (EMF wird hier gebraucht für elektrische, magnetische und elektromagnetische Einwirkung). Und diese Mängel haben dazu geführt, dass an der 2004/40/EG mehrfach herum operiert wurde. Einmal 2007, zweimal 2008 und zuletzt 2012. Spätestens Ende Oktober 2013 hätte die Richtlinie von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Und wenn man sich diese Seite der EU-Gesetzgebung betrachtet, dann sieht die 2004/40/EG dort noch ziemlich lebendig aus. Gleiches gilt für diese Seite des Bundesarbeitsministeriums, die ein Inkrafttreten der Richtlinie Ende Oktober 2013 in Aussicht stellt, und ansonsten noch einige gute Links auf Lager hat.

Noch im November 2012 berichtete ein Mitarbeiter des Arbeitsministeriums auf der BAuA-Veranstaltung "Elektromagnetische Felder an Arbeitsplätzen" über den Stand der Überarbeitung der Arbeitsschutzrichtlinie 2004/40/EG (PDF, 15 Seiten, deutsch). Interessanterweise wird dort für gepulste Felder von einer Bewertungsmethode "Weighted Peak" gesprochen, die mir bislang fremd war. Für Mobilfunkgegner dennoch kein Grund zur Freude, denn diese Methode soll z.B. bei Inverterschweißgeräten, die mit 10'000 A gefahren werden, die Sicherheitsabstände von derzeit rund 20 cm auf mehr als 1 m ausdehnen.

Doch die Richtlinie 2004/40/EG sollte die letzte Operation im April 2012 nur um 1 Jahr, 2 Monate und 2 Tage überleben. Denn dann gab die EU die neue Richtlinie 2013/35/EU heraus, und darin formuliert Artikel 17 das Todesurteil "Richtlinie 2004/40/EG wird mit Wirkung vom 29. Juni 2013 aufgehoben."

Soviel zum Verbleib der unglücklichen EU-Arbeitsschutzrichtlinie 2004/40/EG.

Wenn man sich nun die für Arbeitnehmer zulässigen Immissionen in der neuen Richtlinie betrachtet, so wird man feststellen, dass diese weitaus höher sind als für Privatpersonen, und auch weitaus detaillierter/komplizierter beschrieben sind (sensorische und gesundheitliche Wirkungen). Beispiel: Wer privat ein Handy nutzt, darf mit Kopf und Rumpf maximal 2 W/kg absorbieren, wer es beruflich nutzt, darf bis zu 5-mal mehr Leistung absorbieren (10 W/kg). Mit handelsüblichen Handys ist dies nicht möglich, mit Tetra-Funkgeräten dagegen schon. Um eine Gefährdung von Arbeitnehmern auszuschließen, dürfen die Grenzwerte für gesundheitliche Wirkungen nicht überschritten werden.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Arbeitsschutz

Neue EU-Richtlinie 2013/35/EU: EMF am Arbeitsplatz

H. Lamarr @, München, Montag, 03.02.2014, 11:30 (vor 3951 Tagen) @ H. Lamarr

Soviel zum Verbleib der unglücklichen EU-Arbeitsschutzrichtlinie 2004/40/EG.

Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte die verblichene 2004/40/EG in ihrer jüngsten Revision als Stand der Dinge verkauft. Denn weil das Internet ein so gutes Gedächtnis hat, steht Veraltetes dort quicklebendig neben Aktuellem. Und wer sich oben die Links auf die 2004/40/EG ansieht wird feststellen, die Darstellungen können einen, der von draußen herein schnuppert, leicht täuschen.

Erst dieser kurze Strang mit Beiträgen von "Charles" und "Dr. Ratto" hatte mich davon abgebracht, 2004/40/EG als letzten Schrei der EU aufzutischen. Das war knapp.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Neue ICNIRP Guidlines

Dr. Ratto, Montag, 03.02.2014, 14:55 (vor 3951 Tagen) @ H. Lamarr

Wenn man sich nun die für Arbeitnehmer zulässigen Immissionen in der neuen Richtlinie betrachtet, so wird man feststellen, dass diese weitaus höher sind als für Privatpersonen, und auch weitaus detaillierter/komplizierter beschrieben sind (sensorische und gesundheitliche Wirkungen).

Trotz der Komplexität ist der Bereich zwischen statischen Feldern (0 Hz) und 1 Hz nicht abgedeckt. Das betrifft vor allem Bewegungen in (nicht homogenen) statischen Feldern wie zum Beispiel in der näheren Umgebung von MRT-Geräten und extrem niederfrequente Felder mit Frequenzen unter 1 Hz. Durch eine neue Richtlinie der ICNIRP wird diese Lücke geschlossen. Der Entwurf wurde bereits 2012 auf der Internetseite von ICNIRP diskutiert.

Wer privat ein Handy nutzt, darf mit Kopf und Rumpf maximal 2 W/kg absorbieren, wer es beruflich nutzt, darf bis zu 5-mal mehr Leistung absorbieren (10 W/kg). Mit handelsüblichen Handys ist dies nicht möglich, mit Tetra-Funkgeräten dagegen schon.

Möglich ja, unter "worst case" Bedingungen. In realistischen Scenarien kommen Werte über 2 W/kg kaum vor.
http://www.bfs.de/de/bfs/forschung/dm_forschung/studien_tetra/SAR_Werte_Exposition_TETRA.html

Zwangspulsung durch Personenbewegung in Funkfeldern

H. Lamarr @, München, Montag, 03.02.2014, 23:44 (vor 3951 Tagen) @ Dr. Ratto

Trotz der Komplexität ist der Bereich zwischen statischen Feldern (0 Hz) und 1 Hz nicht abgedeckt. Das betrifft vor allem Bewegungen in (nicht homogenen) statischen Feldern wie zum Beispiel in der näheren Umgebung von MRT-Geräten und extrem niederfrequente Felder mit Frequenzen unter 1 Hz.

Schluck, da muss man erst mal drauf kommen, dass solche tiefen Frequenzen durch Personenbewegungen entstehen. Ich hatte mich schon lange gewundert, dass es für so extrem tiefe Frequenzen weit unter 50 Hz überhaupt Regelungen gibt. Nur glaubte ich bislang, da müsse es gaaanz laaangsaaam laufende Generatoren geben ...

Auf Hochfrequenz bezogen bedeutet diese Personenbewegung in bestimmten Situationen eine "Zwangspulsung" auch bei völlig ungepulsten Funkwellen.

Hört sich verrückt an, ist aber zumindest theoretisch so.

Stellen Sie sich ein beliebiges Wohnzimmer in städtischen Umfeld vor. Dann fallen in dieses Zimmer allerlei Funkwellen ein, Mobilfunk, W-LAN, DECT, Rundfunk, DVB-T und meinetwegen auch noch CB-Funk. Durch Reflexionen und Wellenüberlagerung entsteht in dem Raum eine chaotische Feldverteilung mit Minima und Maxima. Und jetzt nehmen wir zur Vereinfachung an, diese Feldverteilung wäre zeitlich stabil. Bewegt sich jetzt ein Mensch durch dieses Feld, wirken auf ihn abwechselnd Maxima und Minima ein - der Mensch ist also einer gepulsten Immission ausgesetzt. Und die Pulsfrequenz hängt davon ab, wie schnell sich der Mensch bewegt. Steht der Mensch still, ist er keiner derartigen Pulsung ausgesetzt. Zum Ausrechnen der Pulsfrequenzen bin ich jetzt zu müde, ist ja auch wurscht, es geht ja nur ums Prinzip.

Wenn ich den Faden weiter spinne lande ich bei einem elektrosensiblen Radfahrer, der in städtischer Umgebung (Reflexionen) mal schneller mal langsamer radelt und sich bei einer bestimmten Geschwindigkeit (Pulsfrequenz) unwohl fühlt.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Zwangspulsung durch Personenbewegung in Funkfeldern

charles ⌂ @, Dienstag, 04.02.2014, 09:55 (vor 3950 Tagen) @ H. Lamarr

So ist das z.B. mit PKW Reifen.
Die Stahleinlagen werden statisch magnetisch aufgeladen.
(Elektrosensitive *spüren* das)

Wenn man der PKW hoch hält und den Reifen mit dem Hand dreht, kann man mit einem Tesla Messgerät dynamische Wechselfelder messen.

Ich kenne so Personen die jede 5.000 Kilometer ihre Reifen de-magnetisieren.

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Charles Claessens
www.milieuziektes.nl

Neue EU-Richtlinie 2013/35/EU: EMF am Arbeitsplatz

Dr. Ratto, Dienstag, 04.02.2014, 09:01 (vor 3950 Tagen) @ H. Lamarr

Interessanterweise wird dort für gepulste Felder von einer Bewertungsmethode "Weighted Peak" gesprochen, die mir bislang fremd war.

Das taucht zum ersten Mal im Appendix der ICNIRP Guidlines 2010 zu niederfrequenten Feldern (1 Hz - 100 kHz) auf. Zum tragen kommt es z.B. beim Personal das sich während der Bildgebung in der Nähe eines MRT-Gerätes im inhomogenen Magnetfeld bewegt (< 1 Hz) und gleichzeitig Gradientenfeldern (MHz) ausgesetzt ist. Das kommt vor, wenn schwerkranke Patienten oder Kinder während einer MRT Untersuchung nicht allein gelassen werden dürfen. Näheres dazu hier.

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