19 Desinformation mit Om P. Gandhi (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 01.09.2024, 17:31 (vor 106 Tagen) @ H. Lamarr

Trau keinem organisierten Mobilfunkgegner. Wünscht einer dir einen guten Morgen, schau bevor du antwortest zum Fenster hinaus, ob es nicht Abend ist.

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Der US-Wissenschaftler Om P. Gandhi zählt seit mindestens 20 Jahren weltweit zu den Lieblingen organisierter Mobilfunkgegner. Denn Gandhi publizierte 1996 eine Studie, die mit einer eindrucksvollen Simulation das Eindringen der Strahlung eines Mobiltelefons in den Kopf eines 5-Jährigen, eines 10-Jährigen und eines Erwachsenen zeigt. Am stärksten wurde der Kopf des Jüngsten durchdrungen.

◄ Der Screenshot aus dem "Webinar" Nr. 3 von Diagnose-Funk zeigt die berühmt-berüchtigte Simulation von Gandhi.

Das Bild dieser Simulation fand sich mit der Bildersuche bereits vor zehn Jahren auf etwa 450 Websites als angeblich wissenschaftlicher Beleg für die Schädlichkeit von Mobiltelefonen besonders für Kinder.

Auch Peter Hensinger kam im "Webinar" Nr. 3 seines Vereins Diagnose-Funk einmal mehr an dem inzwischen 25 Jahre alten Bild nicht vorbei und präsentiert es ab Minute 21:48 jedem Betrachter des Videos.

Hensingers holprig vorgetragene Kommentare zum Bild vermitteln die populistisch simple Botschaft für Eltern, Kinder seien noch viel mehr gefährdet als Erwachsene:

[...] Ich komme nun zur körpernahen Nutzung Smartphones, Handys, Tablets. Man muss wissen, das führe ich nachher nicht genau aus, einfach, dass Kinder natürlich viel viel mehr gefährdet sind aufgrund des Knochenbaus im Gehirn, im Schädel. Sie sehen hier die berühmte von Gandhi, die berühmte Studie und die Messungen, wie weit die Strahlung eindringt bei einem fünf Jahre alten, zehn Jahre alten Kind und beim Erwachsenen, dass da die Strahlung nicht so weit in den Körper eindringt. Das muss man einfach als Hintergrund wissen, dass Kinder noch viel mehr gefährdet sind. [...]

Gandhis Simulation ist ein Musterbeispiel für den Missbrauch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Denn bereits 1999 hatte der US-Wissenschaftler Chung-Kwang Chou gegenüber Gandhi Zweifel an dem fraglichen Bild geäußert. Aus seiner Sicht konnte die Exposition im Nahfeld nicht zu derart großen Unterschieden in den SAR-Absorptionsmustern führen. Gandhi reagierte 2002 auf die Kritik mit einer neuen Veröffentlichung*), die wie von Chou erwartet nun korrigierte und ähnliche SAR-Werte für den Kopf von Erwachsenen und Kindern nennt. Doch kein Mobilfunkgegner verwendet die korrigierte, jüngere Simulation. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil dort die dramatischen Bilder fehlen. Mobilfunkgegner und Medien greifen stattdessen noch heute auf die überholte ältere Simulation zurück, um Laien, besonders Eltern, mit plakativer Desinformation zu verunsichern. Ob Unvermögen dahinter steckt oder Absicht, das wissen der Himmel und die Desinformanten.

Ein weiterer Aspekt, der gegen die plakative Simulation spricht: Das Bild entstand zu einer Zeit, als GSM900 Standard war (1G). Die effektive Sendeleistung der Mobiltelefone ist bei allen seither aufgespannten Mobilfunknetzen (2G bis 5G) deutlich kleiner als bei GSM900, das in vielen Ländern am Ende seiner Lebenszeit angekommen ist und für privaten Gebrauch nur noch in prekären Versorgungsgebieten genutzt wird.

Das "Webinar" Nr. 3 dauert 90 Minuten. Welche Irrtümer Peter Hensinger in dieser Zeit noch verbreitet kann ich mir ausmalen, wissen kann ich es nicht. Denn dazu hätte ich mir das Video in voller Länge anschauen müssen. Habe ich mir nicht angetan, Forumteilnehmer "KlaKla" aber anscheinend schon.

*) Nachtrag vom 04.09.20224: Wie Chung-Kwang Chou mitteilt, zeigt der von mir gefundene Link zu Gandhis Studie aus dem Jahr 2002 nicht den Volltext der Studie, sondern eine von 18 auf vier Seiten gekürzte Fassung für Konferenzen. Eine Quelle mit frei verfügbarem Volltext konnte ich nicht finden. Hier die bibliografischen Angaben der Studie: O.P. Gandhi and G. Kang, "Some present problems and a proposed experimental phantom for SAR compliance testing of cellular telephones at 835 and 1900 MHz," Physics in Medicine and Biology, vol. 47(8), pp. 1501-1518, May 7, 2002.

[Admin: In einer älteren Version dieses Postings hieß es, im Original sei das Bild von Gandhis Simulation schwarzweiß gewesen. Um die Dramatik der Durchstrahlung des Gehirns zu steigern, sei die Eindringzone nachträglich von Mobilfunkgegnern farbig hervorgehoben worden. Diese Passage erwies sich als unzutreffend und wurde deshalb am 03.09.2024 gelöscht]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Diagnose-Funk, Desinformation, Hensinger, Unglaubwürdig, Kamellen, Eindringtiefe, Alarm, Schund, Gandhi, Webinar, Kinderhirn


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