UMTS-Studie: Manipulationsverdacht entkräftet (II) (Forschung)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 01.06.2008, 13:56 (vor 6042 Tagen) @ H. Lamarr

Fortsetzung von Teil I

In dieser Situation gab es zwei Tage später eine weitere überraschende Neuigkeit: Der Vorsitzende der vom Rektor berufenen dreiköpfigen Kommission für Wissenschaftsethik an der Medizinischen Universität Wien ist als Jurist bei einem Unternehmen der Mobilfunkindustrie beschäftigt. Da somit die Unabhängigkeit der Untersuchungskommission nicht gegeben ist, zieht Prof. Rüdiger seine Unterschrift unter die Rücknahme der beiden genannten Publikationen zurück und ersucht den Rektor zu veranlassen, dass die Kommission unter einem anderen Vorsitz erneut zusammentritt und dieser Gelegenheit auch ihn anhört und auch die konkreten Daten prüft, was beides bisher ja nicht geschehen ist. Der Rektor geht auf diesen Vorschlag jedoch nicht ein und gibt stattdessen als Presseerklärung heraus, dass er einen begründeten Verdacht habe, dass die Arbeiten über erbgutverändernde Wirkung von Mobilfunkfeldern gefälscht seien. Diesen Verdacht begründet er merkwürdigerweise so, dass die beteiligte Mitarbeiterin diese Fälschungen gestanden habe (was nicht zutrifft), und dass die statistische Begutachtung den Verdacht nahelege, dass die Daten nicht experimentell gemessen, sondern vielmehr fabriziert wurden (was ebenfalls nicht zutrifft). Die beteiligten Autoren Prof. A., München, und Prof. H.W. Rüdiger, Wien, widersprechen dieser Presseaussendung in der nachfolgend wiedergegebenen Gegendarstellung:

Wir halten es nicht für gerechtfertigt, die genannten beiden Studien zur erbgutschädigenden Wirkung von Mobilfunkfeldern aufgrund der Anweisung des Rektors der Medizinischen Universität Wien zurückzuziehen, weil wir überzeugt sind, dass die wissenschaftlichen Aussagen in diesen Publikationen korrekt sind.

Für diese unsere Auffassung spricht, dass Ergebnisse beider Studien inzwischen von anderen unabhängigen Arbeitsgruppen bestätigt sind. Damit kann an der grundsätzlichen Richtigkeit der publizierten Daten kaum ein Zweifel bestehen.
Das angesprochene "Fabrizieren von Daten" durch eine technische Assistentin hat nicht an der ehemaligen Klinischen Abteilung für Arbeitsmedizin stattgefunden sondern betrifft die jetzige Organisationsstruktur in einem engen Zeitraum nämlich April 2008. Dieses Fehlverhalten - und nur dieses eine - wurde von der Laborantin auch gestanden. Dass nun auch alles falsch sein muss, was unter Mitwirkung dieser Laborantin in früheren Jahren erarbeitet wurde, ist eine einseitige Vermutung, die wir auf Grund der vorliegenden Fakten nicht nachvollziehen können.

Dass die Statistik in unseren Arbeiten angezweifelt wurde, ist zutreffend. Dies ist jedoch darauf zurückzuführen, dass die Kritiker mit den angewandten Testverfahren nicht vertraut sind. Die statistische Auswertung der Daten in unseren Arbeiten entspricht der in mehreren eigenen Publikationen und in solchen anderer Autoren.

Erbgutschädigende Wirkung von Mobilfunkfeldern ist bedeutsam für die Risikobewertung dieser neuen Technologie. Die Publikationen zu diesem Thema, von deren Richtigkeit wir überzeugt sind, ohne triftigen Grund zurückzuziehen, entspricht nicht unserer Auffassung von der Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Öffentlichkeit. Das könnte als falsches Signal verstanden werden, dass nämlich damit auch alle gesundheitlichen Bedenken ausgeräumt wären.?

Wir bedauern, daß der Rektor den Weg einer Presse-Aussendung gewählt hat. Wir halten dies im vorliegenden Falle nicht für den geeigneten Weg.

Bei einer Befragung der beschuldigten Laborantin am 29.5.2008 durch die Professoren Rüdiger und Mosgöller (der Projektleiter des ATHEM Projektes, innerhalb dessen die UMTS Daten erarbeitet wurden) erklärt diese - abweichend von der Darstellung ihres Dienstvorgesetzten, daß sie alle publizierten Ergebnisse unter den Bedingungen einer doppelten Verblindung erhalten habe, und daß die Behauptung, sie habe die Codierung der Expositionskammer gekannt, erfunden ist. Sie habe auch niemals etwas anderes gesagt und den Dienstvorgesetzten um Richtigstellung seines Briefes gebeten, was ihr bereits am 22. Mai auch zugesagt worden sei. Daß die Verblindung tatsächlich wie vorgesehen eingehalten worden ist, kann auch aus den schriftlichen Protokollen der Laborbesprechungen abgeleitet werden, die für die zurückliegenden 8 Jahre gesammelt vorliegen.

Auf Grund dieser Sachlage, sind Datenmanipulationen auch bei den UMTS Ergebnissen schwer vorstellbar, wenn nicht unmöglich. Deshalb zieht jetzt auch Prof. A., München sein Einverständnis zur Retraktion dieser Publikation gegenüber dem Rektor und dem Herausgeber des Int Arch Occup Environ Health schriftlich zurück.

Inzwischen wurde seitens der MUW eine erneute Sitzung der (selben?) Kommission für den 19.6. 2008 angekündigt.

Weiterführende Links
28.04.08: Kritik von Prof. Lerchl an der Wiener UMTS-Studie
09.05.08: hese bestätigt Lerch-Kritik an UMTS-Studie
15.05.08: Diskussionsstrang zu dieser Affäre im hese-Forum
17.05.08: Prof. Lerchl zu der Erwiderung von Prof. Rüdiger in Int. Arch. of Occupational & Environmental Health
20.05.08: Kopie der Erwiderung von Prof. Rüdiger in Int. Arch. of Occupational & Environmental Health
23.05.08: Diskussion um Fälschung an der UMTS- und der GSM-Studie, Wien
26.05.08: Ursprüngliche Chronologie der Vorgänge von Prof. Rüdiger
29.05.08: Diskussion, ob UMTS/GSM-(Reflex-)Studie als Argument ausscheiden

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Wissenschaft, Forschung, Rüdiger, ATHEM-Projekt, Replikation, MUW, Mosgöller, Arbeitsgruppe Wien, Laborantin, Wissenschaftsskandal, IAOEH, Expositionskammer, Fehlverhalten, Rücknahme, Falschungsverdacht, Verblindungcode


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