Italien: Ramazzini-Institut will Krebsrisiko gefunden haben (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 30.03.2018, 16:52 (vor 2449 Tagen)

Auszug aus einer Meldung des sogenannten "Dachverband Elektrosmog Schweiz und Liechtenstein":

Das Ramazzini Institut in Bologna hat die Ergebnisse seiner mit Spannung erwarteten Ratten-Studie in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht. Die Tiere wurden über längere Zeit mit unterschiedlichen und schwachen Mobilfunksignalen bestrahlt. Dabei wurde festgestellt, dass bei den bestrahlten Tieren signifikant mehr geschädigte Zellen auftraten als bei nicht bestrahlten Tieren. Sogenannte Schwannome, eine sonst sehr seltene Krebsart im Herz, und Tumore im Kopf waren die Folge.

Über den wissenschaftlichen Wert der Arbeit, die gratis im Volltext verfügbar ist, kann und will ich mich nicht auslassen, dies überlasse ich gerne anderen. Nicht irgendwelchen selbsternannten Experten wie die von funkstrahlung.ch, sondern kompetenten Wissenschaftlern, auch wenn es fraglich ist, ob diese sich überhaupt mit der Studie des Instituto Ramazzini beschäftigen werden. Hier zumindest wird unverblümt empfohlen, die Arbeit der Italiener wegen ihrer groben statistischen Mängel schlicht zu ignorieren. Doch es gibt auch abseits des Hauptstrahls noch ein paar Worte über die Alarmmeldung von funkstrahlung.ch zu sagen. Etwa, dass das Ergebnis keineswegs "mit Spannung" erwartet wurde. Denn wäre es so, müsste der Suchbegriff "Ramazzini Institute heart tumor" wesentlich mehr und vor allem mehr qualifizierte Treffer zeigen, als die wenigen, die heute zu sehen sind. Gut möglich jedoch, dass die Laien von funkstrahlung.ch tatsächlich mit Spannung gewartet haben, obschon ich große Zweifel habe, dass die Damen und Herren dieses Vereins wissen wovon sie reden, wenn sie über die Ramazzini-Studie oder auch nur über Elektrosmog reden. Dass nicht nur ich die Kompetenzen dieses überflüssigen Vereins infrage stelle ist hier ersichtlich.

Auffällig ist auf jeden Fall schon einmal die wissenschaftliche Leiterin des Instituto Ramazzini, die auch als Korrespondenzautorin der neuen Mobilfunkstudie geführt wird: Fiorella Belpoggi gehört bereits seit vielen Jahren der wissenschaftlichen Anti-Mobilfunk-Szene an, produziert einer aus der rund 40 bis 50 Personen starken Kerngruppe dieser Szene einen Aufruf/Appell, ist Belpoggi fast immer mit dabei. Nur drei Wissenschaftler beteiligen sich noch häufiger als sie an solchen Aktionen. Belpoggi offenbart sich damit als überzeugte Mobilfunkgegnerin, der damit einhergehende Verlust an Ergebnisoffenheit ist für jeden Wissenschaftler pures Gift.

Die Behauptung von funkstrahlung.ch, die Versuchstiere wären mit "schwachen Mobilfunksignalen" befeldet worden, ist falsch. Schon dem Abstract der Studie ist zu entnehmen, dass statistisch signifikante Befunde allein bei Schwannomen des Herzens auftraten und auch nur bei der stärksten Befeldung mit 50 V/m. Das angeblich "schwache" Signal ist damit entweder über Grenzwert (GSM900) oder nahe dem Grenzwert (UMTS). Eine derart starke Befeldung (Fernfeld) ist in der realen Welt nicht gegeben. Der gemäß einer Übersicht von abertausenden von EMF-Messwerten aus aller Welt (Zeitraum 2000 bis 2010) höchste Wert wurde 2002 mit 19,7 V/m (1,03 W/m²) in Belgien gemessen. Der üble Trick von funkstrahlung.ch: Gegenüber der NTP-Studie (USA) sind die Signale der Italiener tatsächlich relativ schwach gewesen. Doch nur deshalb, weil die Signale der Amerikaner extrem stark waren (bis zu 75-fach über Grenzwert!). Absolut gesehen sind auch die biologisch wirksamen Signale der Italiener unverschämt stark gewesen.

Die Behauptung von funkstrahlung.ch, die neue Studie bestätige die Ergebnisse "der grossen staatlichen NTP-Tierstudie in den USA", ist ebenfalls falsch. Das NTP verursachte 2016 mit einem vorläufigen Zwischenbericht vor allem deshalb Aufregung, weil ein statistisch signifikanter Zuwachs an Hirntumoren unter Feldeinwirkung gemeldet wurde. Im kürzlich vorgelegten Abschlussbericht des NTP war von Signifikanz bei den Hirntumoren dann nicht mehr die Rede. Auch bei den Italienern ist der Zuwachs des Hirntumorrisikos nicht-signifikant. Insofern herrscht wenig aufregende Übereinstimmung. Ganz anders aber verhält es sich bei der geschlechtsspezifischen Betrachtung: Bei den Amerikanern bekamen nur die Rattenböcke Hirntumoren, nicht aber die Weibchen, bei den Italienern war es genau umgekehrt. Von einer "Bestätigung" der NTP-Ergebnisse durch die Italiener kann daher keine Rede sein, im Gegenteil, die Abweichungen zwischen beiden Studien vergrößern nur noch die Ratlosigkeit, die von den teils sonderbaren Ergebnissen der NTP-Studie ohnehin schon ausgegangen ist. Die Italiener stiften jetzt neue Verwirrung, indem sie behaupten, bei erheblich schwächerer Befeldung (gegenüber der NTP-Studie) ähnliche Befunde bekommen zu haben wie die Amerikaner. Doch das passt in keiner Weise zur NTP-Studie. Denn diese hat nur bei sehr starker Befeldung besorgniserregende Effekte gezeigt, nicht aber bei schwächerer Befeldung!

Nicht zuletzt hegte 2017 der US-Kongress Zweifel an der wissenschaftlichen Integrität des Instituto Ramazzini. Die Einrichtung wies die Vorwürfe umgehend zurück. Der Ruf des Instituts scheint indes nicht ohne Kratzer geblieben zu sein.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
STOA, Hirntumor, Signifikanz, Italien, Ergebnisoffenheit, Ramazzini, Belpoggi


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