Explodierende Pager: So könnte es technisch funktioniert haben (Technik)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 17.09.2024, 21:49 (vor 53 Tagen)

Im Libanon sollen heute durch zeitgleich explodierende Pager mehr als 2700 Menschen verletzt und neun getötet worden sein. Da hauptsächlich Mitglieder der Hisbollah betroffen sind, scheidet technisches Versagen aus und es ist von einem gezielten Fernangriff auf die Milizionäre mit einem bislang unbekannten furchterregendem Mittel auszugehen. Die Tragödie des Angriffs können wir nicht mehr ändern, deshalb hier nur die Spurensuche, wie der Angriff funktioniert haben könnte.

Pager sind kleine Funkmeldeempfänger, die ihrem Besitzer kurze Meldungen per Signalton, numerisch oder alphanumerisch übermitteln. Pager sind vom Mobilfunk unabhängig, sie werden über eigene Funknetze betrieben. Anwender sind z.B. Feuerwehren, das THW oder Krankenhäuser, die mit den Pagern Personal zum Einsatz rufen. Da die Geräte nur empfangen und nicht senden, können sie nicht geortet werden.

Kurzschluss lässt Akku bersten

Wie kann so ein Gerät explodieren? Aller Voraussicht nach sind in Nahost genau genommen nicht die Pager explodiert, sondern der in den Geräten eingebaute Akku. Mit einem per Sammelruf übertragenen "Killerkommando" könnte es möglich gewesen sein, viele Pager gleichzeitig zur Explosion zu bringen, indem der Akku per Kommando gezielt kurzgeschlossen wurde. Der dann fließende Kurzschlussstrom erhitzt den Akku, bis dieser explodiert. Das Killerkommando könnte z.B. ein im Service von geschulten Fachkräften verwendetes Testkommando gewesen sein, das bei kurzer autorisierter Anwendung gefahrlos die Belastbarkeit des Akkus ermittelt. Die unautorisierte Ausstrahlung so eines Testkommandos könnte zum Bersten der Akkus geführt haben. Üblicherweise werden deshalb Testkommandos nicht öffentlich mitgeteilt, sondern geheim gehalten und nur im Service unter kontrollierten Bedingungen eingesetzt.

Frühes Killerkommando in Frankreich

Von einem anderen Killerkommando erzählte mir vor vielen Jahren einmal ein Kollege aus der Entwicklungabteilung. Er berichtete, das frühere französische Mobilfunksystem Radiocom 2000 sei imstande gewesen, ein Endgerät mit einem gezielt ausgestrahlten Funkkommando unbrauchbar zu machen, es nur funktionell, nicht physisch zu zerstören. Sinn und Zweck waren hier keine Attentate auf die rechtmäßigen Eigentümer, sondern die Zerstörung von Geräten, die als verloren oder gestohlen gemeldet wurden. Wer unter welchen Voraussetzungen das Killerkommando ausstrahlen durfte, wusste mein Kollege nicht.

Zeitbombe Mobiltelefon?

Beunruhigend finde ich die Vorstellung, dass das, was heute mit Pagern passiert ist, im Prinzip auch mit Mobiltelefonen passieren kann. Der Schaden wäre wegen der größeren Akkus noch verheerender. Ob es dann auch möglich sein könnte, tausende oder mehr Mobiltelefone (evtl. nur des gleichen Modells) mit einem Killerkommando zeitgleich zur Explosion zu bringen, weiß ich nicht. Servicemitarbeiter danach zu befragen dürfte sinnlos sein, denn die würden dies aus naheliegenden Gründen energisch bestreiten. Diese Umstände sprechen dafür, dass der vage Verdacht sich umgehend als neue Verschwörungstheorie krebsartig ausbreitet.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Explodierende Pager: So könnte es technisch funktioniert haben

Gustav, Donnerstag, 19.09.2024, 09:26 (vor 52 Tagen) @ H. Lamarr
bearbeitet von Gustav, Donnerstag, 19.09.2024, 10:16

In den Nachrichten wird darüber spekuliert ob nur der Akku explodiert ist, oder ob die Geräte mit einer zusätzlichen kleinen Sprengladung manipuliert worden sind. Laut der englischen Wikipedia ist der Akku bei dem Gerät austauschbar, der zeitliche Aufwand für so eine Manipulation würde sich in Grenzen halten.

Auf der Suche nach Informationen bin ich auf diesen Artikel gestossen: https://www.wko.at/oe/transport-verkehr/lithium-batterien-abbrandversuche

Die Wirtschaftskammer Österreich ist für mich eine sehr viel seriösere Quelle als zufällig gefundene Videos auf YouTube.

Am meisten imponiert hat mich der Versuch mit der Zelle Grösse D (Mono). Beim Kurzschluss konnte bis auf ganz leichten Temperaturanstieg nach längerer Wartezeit keine Reaktion festgestellt werden. Die Explosion ausgelöst durch Erwärmung ist jedoch heftig. Die verwendete Kochplatte wurde durch die druckwellenartige Explosion in die Luft geschleudert und zerstört.

Ähnlich seriös dürfte dieser Beitrag vom Verbrauchermagazin Kassensturz, bzw. die gezeigten Versuche der EMPA (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) sein: https://www.srf.ch/news/schweiz/explosion-in-der-hosentasche-so-gefaehrlich-sind-akkus


An diese serienmässig vorhandenen Killer- oder Testkommandos glaube ich nicht so recht. Klar, die würden kaum in der Bedienungsanleitung zu finden sein aber heutzutage würde man die sicher zumindest von einzelnen Modellen im Internet finden. Pager sind doch keine Atombomben deren Konstruktion streng gehütete Geheimnisse von Staaten sind, sondern billige Massenware für Endverbraucher. Jeder Pager hat seine eigene Adresse. Wenn ein Pager verloren geht oder gestohlen wird, sendet man einfach keine Nachrichten mehr an dieses Gerät, das ist viel einfacher als es gezielt zu zerstören.

Explodierende Pager: So könnte es technisch funktioniert haben

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 19.09.2024, 23:22 (vor 51 Tagen) @ Gustav

In den Nachrichten wird darüber spekuliert ob nur der Akku explodiert ist, oder ob die Geräte mit einer zusätzlichen kleinen Sprengladung manipuliert worden sind. Laut der englischen Wikipedia ist der Akku bei dem Gerät austauschbar, der zeitliche Aufwand für so eine Manipulation würde sich in Grenzen halten.

Ja, inzwischen sind sich die Medien einig, nicht der Akku ist explodiert, sondern eine heimlich eingebrachte kleine (50 g) Sprengladung. Am Mittwoch soll es eine zweite Angriffswelle gegeben haben, diesmal galt sie nicht Pagern, sondern "Walkie-Talkies", wie die Medien schreiben. Wer mit Funk nichts am Hut hat, dürfte mit dem Anglizismus wenig anfangen können, dabei gäbe es dafür die schön selbsterklärenden Begriffe Funkgerät und Sprechfunkgerät.

Der tödliche Pager (Modell AR-924) wurde von der taiwanesischen Firma Gold Apollo als OEM-Produkt vertrieben, gebaut worden sei er laut Medienberichten in Ungarn von der Firma BAC Consulting. Bereits gestern hatte Gold Apollo den Zugriff auf die AR-924-Produktseiten gesperrt. Auch im Webarchiv konnte ich nichts über das Gerät finden. Aber: Im Cache von "Bing" kann man sich momentan noch die technischen Daten des Geräts anschauen. Gestern konnte ich auf der Seite noch ein Foto des Pagers sehen, heute nicht mehr.

Am meisten imponiert hat mich der Versuch mit der Zelle Grösse D (Mono). Beim Kurzschluss konnte bis auf ganz leichten Temperaturanstieg nach längerer Wartezeit keine Reaktion festgestellt werden. Die Explosion ausgelöst durch Erwärmung ist jedoch heftig. Die verwendete Kochplatte wurde durch die druckwellenartige Explosion in die Luft geschleudert und zerstört.

Oh ja, der Wumms ist nicht von schlechten Eltern. Die Monozelle ist allerdings keine handelsübliche Alkalizelle mit 1,5 V, sondern eine Lithium/Metall-Zelle mit 3,6 V.

An diese serienmässig vorhandenen Killer- oder Testkommandos glaube ich nicht so recht.

Guckst du bei www.nobby.com (technisch interessant, wird leider schon lange nicht mehr gepflegt) oder z.B. hier. Es gibt dazu noch viel mehr Webseiten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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