Hensinger: Warum ihm Bullshit so wichtig ist (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 28.04.2023, 14:33 (vor 436 Tagen) @ H. Lamarr

Ende Dezember 2022 sah sich die Grün-Schwarze Koalition in Stuttgart also einem ganzen Bündel von Argumenten aus der Anti-Mobilfunk-Szene ausgesetzt, die dringend davon abrieten, die geplanten Erleichterungen des baurechtlichen Verfahrens beim Mobilfunknetzausbau in die Tat umzusetzen. Die Ärzte drängten auf eine Anhörung im Landtag (Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen), Diagnose-Funk hoffte, die gesammelten Argumente würden über die Landesgrenzen hinaus aufgegriffen und brächten anderen Landesregierungen davon ab, es den Baden-Württembergern (und Bayern) gleich zu tun.

Es wäre naiv zu glauben, Ärzte und Diagnose-Funk hätten tatsächlich erwartet, mit ihrem Bullshit Einfluss auf die geplante Erleichterungen des baurechtlichen Verfahrens beim Mobilfunknetzausbau in Baden-Wüttemberg nehmen zu können. Beide Akteure wären bedauernswerte Spinner, sollten sie entgegen ihrer bisherigen Erfahrungen derartige Erwartungen gehegt haben. Doch wenn sie keine Spinner sind, was bezweckten sie dann mit ihren öffentlichen Auftritten?

In seinem Essay "Bullshit" erzählt der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt die Anekdote von einem Mann, der sich mit Bullshit öffentlich in Szene setzt. Frankfurts Deutung, warum der Mann das tut, passt mMn sinngemäß auch für die beiden Akteure aus unseren Breiten, die sich ihren Kreisen als tatkräftige vertrauenswürdige Frontkämpfer präsentieren wollen, als Helfer in der Not und als Referenten für "Informationsveranstaltungen" aller Art. Hier der besagte Auszug aus "Bullshit":

[...] Man denke etwa an einen Redner, der sich am Nationalfeiertag in bombastischen Worten über »unser großartiges und gesegnetes Land« ergeht, »dessen Gründerväter unter Gottes Führung eine neue Ära für die Menschheit eingeläutet haben«. Das ist natürlich Humbug. Wie sich aus Blacks Darstellung ergibt, kann man nicht behaupten, der Redner lüge. Er würde nur dann lügen, wenn er die Zuhörer etwas glauben machen wollte, das er selbst nicht glaubt: daß unser Land groß und gesegnet sei, daß die Gründerväter unter göttlicher Führung gehandelt hätten oder daß ihnen ein Neuanfang für die Menschheit zu verdanken sei. Doch dem Redner ist es nicht wirklich wichtig, was seine Zuhörer über die Gründerväter, über die Rolle Gottes in der Geschichte unseres Landes und dergleichen denken. Zumindest wird seine Rede nicht dadurch motiviert, was irgend jemand über diese Dinge denkt oder nicht denkt.

Natürlich ist die Ansprache zum 4. Juli nicht maßgeblich deshalb Humbug, weil der Redner seine Behauptungen für falsch hielte. Wie sich aus Blacks Darstellung ergibt, möchte der Redner mit diesen Behauptungen einen bestimmten Eindruck von sich selbst erwecken. Er versucht nicht, seine Zuhörer hinsichtlich der amerikanischen Geschichte zu täuschen. Ihm geht es vielmehr darum, was die Menschen über ihn denken. Er möchte, daß sie ihn für einen Patrioten halten, für jemanden, der tiefgründige Gedanken und Gefühle über den Ursprung und die »Mission« unseres Landes hegt, der die bedeutende Rolle der Religion würdigt und empfänglich für die großartigen Momente unserer Geschichte ist [...].

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Hensinger, Selbstdarsteller, Bullshit, Netzausbau, Referent, Pseudo-Experte


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