5G-Paranoia in Tutzing: Zurück auf Los! (Allgemein)
In den Gemeinden um die beiden großen Seen südlich von München haben sich überzeugte Mobilfunkgegner schon vor langer Zeit eingegraben und leisten ebenso unvernünftigen wie hartnäckigen Widerstand gegen jeden neuen Funkmasten. Beistand bekommen sie von Gemeinderäten aus unterschiedlichen Motiven heraus. Doch damit reiten diese ihre Gemeinden regelmäßig in schwierige Situationen. Jetzt hat es Tutzing am Starnberger See erwischt. Dort setzte der Gemeinderat 2020 aufs falsche Pferd und manövrierte sich mit einem nicht durchdachten "5G-Moratorium" in eine Zwickmühle, die sich jetzt aufgetan hat.
Vom Bayer an sich, heißt es in der Süddeutschen Zeitung, er sei ein sturer Bock, was sich in seinem Lebensmotto äußere: "Wenn i net mog, dann mog i net!" Dies und der Umstand, dass die bundesweit bedeutungslose Anti-Mobilfunk-Partei ÖDP bei den Kommunalwahlen 2020 in Bayern auf immerhin 410 Mandate von bayernweit rd. 39'500 Mandaten kam, erklärt, warum sich Mobilfunknetzbetreiber mit dem Aufstellen neuer Funkmasten im Freistaat stellenweise besonders schwer tun.
So knickte 2020 auch die Gemeinde Tutzing unter dem Druck einer ortsansässigen Bürgerinitiative ein und beschloss ein "5G-Moratorium". Der Süddeutschen Zeitung vom 10. Juni 2020 zufolge lief das so: "Mit einem gemeinsamen Antrag schaffen in Tutzing Grüne, Freie Wähler, SPD und ÖDP ein Innehalten in Sachen Mobilfunk. Sendeanlagen für Mobilfunktechnologie mit mehr als 3,8 Gigahertz unterstützt die Gemeinde demnach auf dem gesamten Gemeindegebiet inklusive ihrer Liegenschaften künftig erst dann, 'wenn die Unbedenklichkeit für Mensch und Umwelt durch industrie- und regierungsunabhängige Wissenschaftler verlässlich nachgewiesen ist'". Der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk reagierte entzückt auf den Beschluss des Tutzinger Gemeinderats. Schön und gut, aber wissenschaftstheoretisch ist es unmöglich, Unbedenklichkeit zu garantieren, nur die Schädlichkeit einer Technik lässt sich zweifelsfrei beweisen. Theoretisch müssen die Tutzinger somit bis ans Ende aller Tage auf die erlösende Nachricht aus den Elfenbeintürmen der Wissenschaft warten, Mobilfunk sei zu 100 Prozent unbedenklich.
Doch so lange können die Tutzinger Ratsherren nicht warten. Denn jetzt will Vodafone einen 60-m-Funkmast in der Gemeinde errichten, dessen Notwendigkeit der Rat allerdings bezweifelt. Prompt verweigerte die Gemeinde ihr Einvernehmen mit dem Bauvorhaben. Ein solches Bocken ist nach aktueller Rechtsprechung aber nur dann zulässig, wenn die Gemeinde dem Mobilfunkbetreiber Alternativstandorte anbietet. Einer Meldung des Merkur vom 18. Februar 2023 zufolge hat Tutzing einen solchen auch zur Hand, nämlich einen vorhandenen Hochspannungsmast im Norden des Gemeindegebiets. Frei nach dem Motto: Wo schon die Pest wütet, kann die Cholera nicht mehr viel Schaden anrichten. Ersatzweise könnte auch ein weniger kontaminiertes gemeindliches Grundstück für die Errichtung des Funkmasten freigegeben werden.
Doch jetzt verhindert das 2020 unbedacht erlassene 5G-Moratorium, dass die Gemeinde die beiden Alternativstandorte dem Mobilfunkbetreiber überhaupt anbieten kann. Ob dieser selbst verschuldeten Zwickmühle schimpft Ratsmitglied Thomas von Mitschke-Collande (CSU), das Moratorium sei "unsinnig, kurzsichtig, ideologisch und in dieser Form nicht realisierbar". Bürgermeisterin Marlene Greinwald keilt zurück und tadelt die Kritik des CSU-Manns als "ideologisch, kontraproduktiv und unnötig". Anscheinend erkennen beide nicht, dass es immer wieder die allzu große Nachgiebigkeit gegenüber lokalen Bürgerinitiativen gegen Mobilfunk ist, mit der sich Gemeinden in Bayern regelmäßig selbst in die Bredouille bringen. Denn gute Sachargumente gegen Funkmasten sind rar wie Steinpilze in der Sahara. Sich deshalb schon von intensivem Munkeln & Raunen in der Bürgerschaft einschüchtern zu lassen, ist meiner Einschätzung nach für Räte nicht besonders ruhmreich, zumal das Bundesamt für Strahlenschutz in Sachen Elektrosmog ratlosen Räten seit 2020 in Online-Sprechstunden kompetenten Rat anbietet, sich gegenüber aufgebrachten Mobilfunkgegnern sachkundig zu behaupten.
Nun soll der unglückliche Beschluss für ein 5G-Moratorium gemäß Merkur in der nächsten Gemeinderatssitzung geändert werden, weil sonst das Angebot von Alternativstandorten für die Mobilfunkanlage nicht möglich ist. Ohne dem unnötigen Moratorium müsste das ganze Gewürge nicht stattfinden. Bei Monopoly würde die Kehrtwende von Tutzing "Zurück auf Los" bedeuten. Fragt sich, ob der Rückzieher von dem Moratorium von Diagnose-Funk ebenso hingebungsvoll verwurstet werden wird, wie 2020 dessen Beschluss .
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –