Icking: Skandal oder Sturm im Wasserglas? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 11.05.2006, 23:16 (vor 6781 Tagen)

Die Bamberger Ärztin Dr. Cornelia Waldmann-Selsam sammelt Krankheitsberichte von Menschen, die, eigenen Angaben zufolge, unter Elektrosmog leiden. Zu diesem Zweck besucht Dr. Waldmann-Selsam Betroffene vor Ort. Vor kurzem wurde sie ins bayerische Icking gerufen, weil dort auffällig viele Menschen erkrankt seien.

Soviel zur Vorgeschichte. Was dann passierte, ist in der Lokalpresse beschrieben worden. Die folgenden Links (PDFs mit je 300 KByte bis 500 KByte) geben den Ablauf in chronologischer Reihenfolge wieder:

02. Mai: Mobilfunk Auslöser für Krebsfälle? - Ickinger Initiative startet Messaktion
04. Mai: Ärztin schickt Patientendaten an Zeitung
04. Mai: Ein riesiger, peinlicher Skandal
06. Mai: Ärztin gibt Datenmissbrauch zu
10. Mai: RDW-Forum: Frau Dr. Waldmann-Selsam bekommt Ärger

Am 10. Mai hatte ich Gelegenheit, die Bamberger Ärztin am Rande einer öffentlichen Mobilfunk-Veranstaltung zum "Icking-Skandal" zu befragen. Zuvor hatte der zur Veranstaltung entsandte Referent von T-Mobile, der Material zu dem Vorfall im Aktenkoffer dabei gehabt haben will, den Skandal fairerweise nicht öffentlich angesprochen.

Zunächst ist festzustellen, dass Waldmann-Selsam keineswegs als gebrochene Frau auf der Veranstaltung auftrat, sondern gewohnt selbstbewußt.

Die irrtümliche Weitergabe einiger Personendaten konnte sie plausibel erklären: Beim Anonymisieren der Krankheitsberichte habe Frau von Brandt die Personaldaten im Kopf der Berichte noch ordnungsgemäß gelöscht. Aus Zeitdruck habe von Brandt die Berichte jedoch nicht mehr alle gelesen und deshalb nicht bemerkt, dass auch im Fließtext zuweilen Personendaten genannt wurden. Genau diese Daten seinen dann später von einem Zeitungsjournalisten entdeckt und ausgeschlachtet worden. Eine Schuldzuweisung an Frau von Brandt wollte Waldmann-Selsam damit jedoch nicht verbinden, sie übernehme selbstverständlich die Verantwortung für das Versäumnis.

Aus Sicht der Ärztin wird der Vorfall von interessierten Kreisen hochgespielt, um ihrem Ansehen zu schaden. Eine große süddeutsche Zeitung habe ihr versichert, dass der stattgefundene Enthüllungsjounalismus nicht gerade von Fairness ihr gegenüber zeuge. Denn normalerweise werden Fehler, wie der beschriebene, von Redaktionen ohne viel Aufhebens automatisch korrigiert - es sei denn, man möchte dem Verfasser des Originaltextes eins auswischen. Tatsächlich waren die Krankheitsberichte, die an das Lokalblatt Isar-Loisachbote gingen (einen Ableger des Münchener Merkur), lediglich als Anlage für die zusammenfassende ärztliche Stellungnahme gedacht, um deren Veröffentlichung es Waldmann-Selsam und von Brandt vordringlich ging.

Die Ärztin bedauert den Vorfall, sie versuchte auch nicht ihn schön zu reden, steht der weiteren Entwicklung des Vorfalls jedoch ziemlich gelassen gegenüber. Da auch Google-News (beobachtet über 700 deutschsprachige Nachrichtenquellen) den Vorgang selbst am 11. Mai noch nicht zur Kenntnis genommen hat lautet unsere Wertung auf dumm gelaufen und Sturm im Wasserglas.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Krebs, Dilettantismus, Fehler, Kasuistiken, Waldmann-Selsam, Datenmissbrauch, Geschädigter, Fallbeispiel, Cluster, Icking, Akademiker


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