Handystrahlung beeinträchtigt Spermienproduktion (Forschung)

Gast, Dienstag, 08.03.2016, 16:40 (vor 3163 Tagen)

Derzeit geistert eine Studie durch die internationalen Medien, die herausgefunden haben will, dass Handystrahlung die Spermienproduktion beeinträchtigt. Die Studie selbst wurde bereits im September 2015 veröffentlicht: Ariel Zilberlicht et al. (2015). Habits of cell phone usage and sperm quality–does it warrant attention?. Reproductive BioMedicine Online, 31(3): 421-426.

Daniel Kürner
ist Skeptiker, studiert Medizinische Informatik an der TU Wien und arbeitet derzeit an seiner Diplomarbeit am Computational Imaging Research Lab der MedUni Wien. Hier ist sein Gastbeitrag:

Die Männer waren Patienten mit bekannten Fruchtbarkeitsproblemen

Die fehlende Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität ist bei weitem nicht das einzige Manko der israelischen Studie. Der hohe Anteil an Männern mit verminderter Spermienqualität mag zwar auf den ersten Blick beängstigend wirken, doch er erscheint in einem völlig anderen Licht, wenn man berücksichtigt, wie die Studienteilnehmer rekrutiert wurden. Die 106 Männer waren allesamt Patienten an einer Fruchtbarkeitsklinik, in die sie zur Erstellung eines Spermiogramms überwiesen wurden. Wie sich später herausstellen sollte, hatten ganze 43 % der Studienpopulation eine verminderte Spermienkonzentration.

Vor der Anfertigung ihres Spermiogramms mussten die Teilnehmer einen Fragebogen ausfüllen, in dem demographische Merkmale, der Gesundheitszustand und das Handynutzungsverhalten abgefragt wurden. Von den 106 Männern wurden 26 als starke Raucher, wegen ihres Alkoholkonsums oder aufgrund von gewissen Vorerkrankungen ausgeschlossen, sodass schließlich nur die Angaben von 80 Männern in die Auswertung einflossen. Diese geringe Teilnehmerzahl ist dabei gar nicht das größte Problem der Studie. ...

Signifikante Ergebnisse bei unplausiblen Merkmalen

Statistisch signifikante Einzelergebnisse erhielten die Forscher beim moderaten Rauchen (p = 0,021), bei einer täglichen Gesprächszeit von über 1 Stunde (p = 0,04) sowie beim Telefonieren während des Ladevorgangs (p = 0,02), jeweils nur in Bezug auf die Spermienkonzentration. Rauchen ist ein bekannter Risikofaktor, bei den anderen beiden signifikanten Ergebnissen hingegen deutet vieles darauf hin, dass es sich um statistische Artefakte handelt. Diese beiden Parameter sind nicht gerade die plausibelsten, wenn es um die Schädigung von Samenzellen geht. Wie soll sich eine geringfügige Erwärmung des Ohrs auf die Spermienproduktion auswirken? Nachvollziehbarer wäre etwa Telefonieren mit Freisprecheinrichtung bei eingestecktem Handy, wenn es sich also in der „Gefahrenzone“ befindet und sendet. Warum es – abgesehen von einem defekten Ladekabel – schädlich sein soll zu telefonieren, während das Handy lädt, bleibt fraglich. (Die Autoren vermuten „emittierte Energie der externen Stromquelle“ sowie eine höhere Sendeleistung, weil das Gerät nicht Energie sparen braucht.) Wenn man viel telefoniert, sein Handy öfters lädt und selbst dann noch telefonieren muss, ist das vielleicht eher ein Hinweis auf einen stressigen Alltag als auf einen Einfluss des Mobilfunks. Den Probanden wurden zwar Fragen zum Lebensstil gestellt, ein Stresslevel wurde jedoch nicht ermittelt.

Warum die Forscher genau 1 Stunde tägliche Gesprächszeit als Grenze der Schädlichkeit wählten, ist nicht beschrieben. Im Fragebogen konnten die Teilnehmer noch zwischen den vier Kategorien <30 Minuten, 30-60 Minuten, 60-120 Minuten und >120 Minuten wählen. War hier möglicherweise „p-hacking“ am Werk? Das heißt: Wurde diese Grenze im Nachhinein so gewählt, dass ein signifikanter p-Wert erzielt werden konnte? ...

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Tags:
Studie, Artefakte, Spermien, Kausalität, Fertilität, Handystrahlung, Unfruchtbarkeit, Mängel, Handynutzung, Zilberlicht, Dirnfeld, Haifa, Korrelation

Handystrahlung beeinträchtigt Spermien nicht

Dr. Ratto, Donnerstag, 16.06.2016, 16:01 (vor 3063 Tagen) @ Gast

Derzeit geistert eine Studie durch die internationalen Medien, die herausgefunden haben will, dass Handystrahlung die Spermienproduktion beeinträchtigt.

Eine Studie, die das Gegenteil herausgefunden hat, erscheint in den Medien nicht. Weil negative Ergebnisse und Entwarnung im Gegenteil zu Hiobsbotschaften niemanden interessieren, und weil die Autoren die Publikation nicht mit einer Pressemitteilung angekündigt haben.

Effects of 1950 MHz W-CDMA-like signal on human spermatozoa.

There are growing concerns about how electromagnetic waves (EMW) emitted from mobile phones affect human spermatozoa. Several experiments have suggested harmful effects of EMW on human sperm quality, motility, velocity, or the deoxyribonucleic acid (DNA) of spermatozoa. In this study, we analyzed the effects on human spermatozoa (sperm motility and kinetic variables) induced by 1 h of exposure to 1950 MHz Wideband Code Division Multiple Access (W-CDMA)-like EMW with specific absorption rates of either 2.0 or 6.0 W/kg, using a computer-assisted sperm analyzer system. We also measured the percentage of 8-hydroxy-2'-deoxyguanosine (8-OHdG) positive spermatozoa with flow cytometry to evaluate damage to DNA. No significant differences were observed between the EMW exposure and the sham exposure in sperm motility, kinetic variables, or 8-OHdG levels. We conclude that W-CDMA-like exposure for 1 h under temperature-controlled conditions has no detectable effect on normal human spermatozoa. Differences in exposure conditions, humidity, temperature control, baseline sperm characteristics, and age of donors may explain inconsistency of our results with several previous studies.

Die Studie hat eine sehr gute Qualität. Es wurde Sperma von 50 gesunden Männer einer Altersgruppe (kein Alkohol, keine Raucher, keine Medikamente) 1 Stunde scheinexponiert oder mit 2 W/kg bzw 6 W/kg exponiert, in einem Hohlleiter der Firma ITIS (Zürich). Die Temperatur wurde möglichst konstant gehalten, es kam zu einer Erwärmung um 0,16°C bzw 0,23°C. Exposition und Datenauswertung erfolgten verblindet. Ergebnis: kein Einfluss auf verschiedene Aspekte der Spermienbeweglichkeit, kein oxidativer Stress mit darauf folgender DNA Schädigung.

Tags:
Oxidativer-Stress, Studie, DNA-Schäden, Spermien, Fertilität, Entwarnung

Schock-Studie Smarthphone schädigt Spermien

KlaKla, Donnerstag, 15.09.2016, 15:53 (vor 2972 Tagen) @ Gast

Zilberlicht et al. im Zwielicht

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 15.09.2016, 22:38 (vor 2972 Tagen) @ Gast

Derzeit geistert eine Studie durch die internationalen Medien, die herausgefunden haben will, dass Handystrahlung die Spermienproduktion beeinträchtigt. Die Studie selbst wurde bereits im September 2015 veröffentlicht: Ariel Zilberlicht et al. (2015). Habits of cell phone usage and sperm quality–does it warrant attention?. Reproductive BioMedicine Online, 31(3): 421-426.

Das war im Februar 2016 sogar Computer-Bild zu dick aufgetragen – und das will was heißen. Vielleicht liegt die ungewohnt kritische Einstellung des Blatts aber auch nur daran, dass nicht Computer-Bild hinter die Kulissen der Panikmacher lugte, sondern "Robert Basic", einer der Autoren des Magazins. Da kann man gleich bei ihm nachlesen, was er an Zilberlicht et al. zu bemängeln hat. Schön, dass es so etwas noch gibt und der unerträgliche Verlautbarungsjournalismus des www-Zeitalters noch nicht alles erstickt hat.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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, Studie, Medien, Panikmache, Verlautbarungsjournalismus, Zilberlicht

"Chip online" mit Handypanik auf der Jagd nach Klickvieh

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 15.09.2016, 23:27 (vor 2972 Tagen) @ KlaKla

Nun füllt auch die Chip das Sommerloch

Schock-Studie enthüllt: So sollten Sie Ihr Smartphone niemals tragen

Das einzige was mich hier schockt ist die redaktionelle Qualität dieser Meldung. Der Verfasser ist Volontär bei Chip, befindet sich also noch in der Ausbildung und ist daher von Schuld frei zu sprechen. Der Mann mit dem irreführenden Vornamen sollte aber in der Redaktion einen erfahrenen Ausbilder haben, der seine Texte prüft, bevor diese auf die Bevölkerung losgelassen werden. Dieser Prüfer hat mMn versagt, möglicherweise ist er sogar für die unappetitlich reißerische Titelzeile der Meldung verantwortlich, denn, das zeigt die Aufmachung von "Chip online" deutlich, es geht dort in erster Linie darum, vorbei streunende Besucher zu möglichst vielen Klicks auf der Chip-Website zu verführen. Klicks sind der Treibstoff für Online-Magazine, je höher die Klickraten eines Blattes sind, desto teurer lassen sich Anzeigeplätze verkaufen. Es geht also wieder einmal, wer hätte anderes erwartet, ums liebe Geld.

Wenn man die Nöte überzeugter Elektrosensibler kennt und die Ängste besorgter Spätgebärender, ist die Meldung bei "Chip" nicht nur billiger Verlautbarungsjournalismus, inspiriert von zuvor publizierten Alarmmeldungen der britischen Boulevardpresse (z.B. Daily Mail), sondern auch ein gutes Stück verantwortungslos. Das hindert skrupellose Hetzerlein der Anti-Mobilfunk-Szene freilich nicht, sich dieser anrüchigen Meldung dennoch zu bedienen. Niemand in der Redaktion, behaupte ich, hat auch nur die leiseste Ahnung von Spermienstudien. Trotzdem lässt man einen Volontär über so ein heikles Thema schreiben und nebenher subjektive Ängste vor Kinderlosigkeit schüren. Für eine Recherche, die 1 Zentimeter in die Tiefe ginge, hat der arme Kerl wahrscheinlich gar keine Zeit gehabt. Wäre für einen künftigen Journalisten aber gut gewesen, denn eigentlich macht dies erst den Job des Journalisten aus. Nur das bringen, was andere einem servierfertig auftischen, kann so ziemlich jeder, der im Fach Deutsch über mangelhaft hinauskam. So ist bei der Chip-Meldung nicht allein die indiskutable Titelzeile aus einer dunklen Ecke der Propagandakiste zu beanstanden, sondern auch das Fehlen einer differenzierten Berichterstattung. Dabei wäre diese so einfach gewesen, hätte der Volontär nur gewusst, wo er suchen sollte. Fündig geworden wäre er <hier> (PDF, 38 Seiten, deutsch):

Zusammenfassung
Der Einfluss elektromagnetischer Felder, die von Handys ausgehen, auf die männliche Fruchtbarkeit wurde in mehreren nationalen und internationalen Studien untersucht. Studien an Menschen zeigen einheitlich eine verminderte Fruchtbarkeit bei Menschen, die häufig ein Handy nutzen. Diese ist aber höchstwahrscheinlich durch die Lebensweise dieser Personengruppe und nicht durch elektromagnetische Felder verursacht. Laborstudien zeigen vor allem thermische Effekte oberhalb der Grenzwerte, die durch die hohe Temperaturempfindlichkeit von Spermien erklärt werden können. Derart hohe Belastungen kommen bei der alltäglichen Nutzung von Handys nicht vor. Auch wenn ein Handy in der Hosentasche sendet, liegt die Belastung der Hoden durch elektromagnetische Felder weit unterhalb der Grenzwerte und ein thermischer Effekt kann ausgeschlossen werden. Ergebnisse von Untersuchungen an Tieren zeigen in Abhängigkeit von der Studienqualität teilweise widersprüchliche Ergebnisse. Studien, die den qualitativen Ansprüchen einer guten wissenschaftlichen Praxis entsprechen, zeigen keinen gesundheitlich relevanten Einfluss elektromagnetischer Felder auf die Fruchtbarkeit. Da viele der beschriebenen Beobachtungen nicht abschließend geklärt sind, empfiehlt die WHO in der Research Agenda 2010 weitere Forschung auf diesem Gebiet, allerdings nicht mit einer hohen Priorität.

Und nun, Kim? Jetzt kannst du dein Smartphone wieder unbesorgt in die Hosentasche stecken.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Verantwortungslos, Medien, Verlautbarungsjournalismus, Volontär

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