Brief an Schutti (Allgemein)

Schmetterling @, Mittwoch, 26.10.2005, 12:44 (vor 6874 Tagen)

Liebe/ lieber Schutti,
bitte versuchen Sie, sich vorzustellen, Ihnen wäre folgendes passiert. Was würden Sie tun?

Sie laufen durch die Stadt und gehen an Ihren Geldautomat. Ihnen fällt auf, dass Ihr rechtes Bein nicht richtig funktioniert. Es ist wie gelähmt und lässt sich nicht steuern. Sie müssen sich am Geländer festhalten, weil Sie Angst haben, die drei Stufen hinabzufallen. Und Sie denken: "Was ist denn das, so was hatte ich ja noch nie?" Sie gehen weiter und der Spuk löst sich in Luft auf. Dreihundert Meter weiter geht das Spiel von neuem los. Sie können kaum laufen und versuchen, ein Hinken zu unterdrücken. Sie suchen für sich eine Erklärung und finden keine.
Nach mehreren Monaten wissen Sie genau, wo diese Stellen sind, die ihr Gehvermögen beeinflussen. Fast jeder, dem sie das erzählen, muss grinsen. Aber niemand kann sagen, was die Ursache ist.

Irgendwann merken Sie, dass Sie Herzprobleme haben, zum Beispiel wenn Sie auf Ihrer Ofenbank liegen und ein Buch lesen. Sie können diese Herzprobleme nicht richtig beschreiben. Sie glauben Ihr Herz bis im Hals schlagen zu fühlen und gleichzeitig ist es wie ein Druck auf Ihrer Brust. Etwas Imaginäres quetscht Sie zusammen und Sie haben das Gefühl, ersticken zu müssen. Manchmal bekommen Sie Panik, Todesangst, vor allem dann, wenn Sie beim Buch lesen eingenickt sind. Sie versuchen aufzustehen und merken, dass Sie am ganzen Körper zittern.
Sie stellen fest, dass dieser seltsame Druck auf der Brust, zeitweise kombiniert mit Sodbrennen, auch dann zu spüren ist, wenn Sie unter der Stromleitung in der Nähe Ihres Hauses durchgehen. An manchen Tagen merken Sie nur wenig, an anderen Tagen sind es vierzig oder fünfzig Meter, die Sie sehr belasten. An solchen Tagen möchten Sie dort nicht weiterzulaufen. Sie erzählen diese Geschichte Ihrem Arzt, doch der schaut Sie etwas komisch aus den Augenwinkeln an. Er drückt Ihnen ein angstlösendes Medikament in die Hand und sagt was von notwendigem EKG.
Sie fragen sich zu diesem Zeitpunkt immer und immer wieder, was Sie nur für eine seltsame Krankheit haben. Denn diese Symtome sind nicht überall. Wenn sie bei Freunden übernachten, merken Sie nichts, gar keine Herzbeschwerden. Sie können dort wunderbar schlafen und fühlen sich ausgeschlafen und datendurstig.

Es vergeht eine Zeit und es gibt immer mehr Orte, an denen sich aufzuhalten für Sie belastend ist. Entweder Sie spüren den Druck in der Brust oder die Bewegungsstörung im Bein. Schlimm sind für Sie mittlerweile Supermärkte. Dort können Sie sich zwischen den Gefriertruhen und Kühlschränken fast gar nicht mehr aufhalten... Zu Hause ziehen Sie den Stecker von der Gefriertruhe, sonst verstärkt diese Ihr Herzklopfen... Sie fahren mit Ihrem Auto und der Faradaysche Käfig Auto schert sich einen Dreck darum, Sie zu schützen. Denn selbst im Auto merken Sie Ortschaften und nahe Stromleitungen. Und Sie wissen keine Erklärung für alles. Sie haben niemanden, dem Sie Ihre mittlerweile lebensbelastenden Probleme erzählen können. Denn Sie haben Angst, Ihren Ruf zu verlieren. Ihren Ruf als geistig gesunder Mensch.

All das begann vor ca. viereinhalb Jahren.

Irgendwann lesen Sie das erste Mal das Wort stromkrank oder Elektrosensibilität. Es geht Ihnen ein Licht auf.
Sie wissen keine Lösung für solch praktische Dinge wie:- was wird aus meinem Haus, wenn ich es nicht mehr bewohnen kann, -wo kann ich mich noch aufhalten, wenn alles noch schlimmer wird, -wo kann ich noch arbeiten?
Sie sehen nur noch Perspektivlosigkeit.


Und dann lesen Sie, Spott und Hohn, in irgendeinem Forum, dass Sie ein Panikmacher und ein Verschwörer sind, dass Sie "das Recht auf eine Grundversorgung mit Telekommunikation" haben und dass es für nichts Beweise gibt....


Schöne Grüße vom Schmetterling.

Tags:
Selbstdarstellung, Perspektivlosigkeit, Gefriertruhe, Kühlschrank


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