Wissenschaft braucht Kontroverse (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 10.11.2010, 10:23 (vor 4988 Tagen) @ baum1

warum gibt es eigentlich keine(n) unabhängigen Vermittler beim Mobilfunk zwischen denen, die Mobilfunk harmlos finden und denen, die glauben er sei schädlich? Bei den Streitereien in den letzten Jahren...

Meine Meinung dazu:

Eine Vermittlung wird das Problem nicht lösen, dass es immer Optimisten und Pessimisten geben wird: Bei den einen ist das Glas halb voll, bei den anderen halb leer, beide reden vom selben.

Eine Vermittlung wird das Problem nicht lösen, dass die (wirtschaftlichen) Interessengruppen auf beiden Seiten mit der jetzigen Situation mMn gut leben können, die Industrie will keine weitere Alarmierung, das Helfergewerbe (Baubiologen, Heilpraktiker, Esoterikbranche ...) will keine weitere Entwarnung.

Wissenschaftliche Erkenntnisse dürfen sich nicht verhandeln lassen, entweder ist EMF unterhalb der Grenzwerte für die Bevölkerung gefährlich oder nicht. Die Wissenschaftler der Schädlich-Partei mögen bei Laien Punkte machen, dort referieren einige ja auch besonders gerne, der Prüfstein steht aber ganz woanders, nämlich in der Mitte der Wissenschaftsgemeinde, wo ordentliche Publikationen mit Beifall oder Kritik bedacht werden.

Auch wichtig: Das Prinzip der Replikation alarmierender Studien ist meinungsbildend, es hat bisher keinen Trend gesetzt, dass man sich wegen EMF große Sorgen machen müsste.

Die Kontroverse ist der Motor wissenschaftlichen Fortschritts, sie darf der Diplomatie nicht weichen. Die Mehrheit der Bioelektromagnetiker sieht keinen Grund, an den Grenzwerten der ICNIRP zu rütteln. Diese Grenzwerte sind nicht in Beton gegossen, sie werden regelmäßig dahingehend geprüft, ob neue belastbare Erkenntnisse eine Korrektur verlangen. Dieser Prozess läuft automatisch, ohne Vermittlung.

In einigen Ländern gibt es Kommissionen kompetenter Wissenschaftler, die ihrerseits den Kenntnisstand in Sachen EMF-Risiken regelmäßig neu bewerten, darunter sind dann auch Wissenschaftler der sogenannten "kritischen" Seite. Alle diese Bewertungen haben bislang ICNIRP bestätigt.

Kurz: Vor ein paar Jahren noch hätte ich Ihrem Vorschlag begeistert zugestimmt, heute sehe ich keine Notwendigkeit mehr für eine Vermittlung.

Sowohl die schädlich-Partei, als auch die harmlos- Partei besteht aus ernst zu nehmenden Wissenschaftlern.

Der Medienrummel der Schädlich-Partei lässt diese größer und wichtiger erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist.

Beide Parteien sollen einen oder mehrere kompetente Vermittler auswählen, der/die von beiden aktzeptiert wird.Dann sollen sich beide Parteien an einen Tisch setzen und der Vermittler soll vermitteln.

Das wäre, wie oben geschrieben, der Untergang der Wissenschaft ;-).

Ansonsten werden sich die Streitereien nie befriedigen.

Stimmt. Aber so soll es ja auch sein, der Unterlegene wird nicht zum Schweigen gebracht, er darf weiter vor sich hin grummeln und seine treuesten Anhänger um sich scharen. Aus meiner Sicht ist die Schlacht um Burg "EMF" geschlagen, dass in dem einen oder anderen Wäldchen noch Scharmützel stattfinden, gehört zum Drehbuch. Mit geschlagen meine ich: Es wird keine substanziellen Struktuveränderungen geben, bei Sendemasten ohnehin nicht und bei Handys muss die Schädlich-Partei (Alarmierer) froh sein, wenn sie mal einen Aufkleber "Fasse dich kurz!" zugestanden bekommt. Alles andere dürfte als logische Folge der Weiterentwicklung zu sehen sein, Handys mit besonders niedrigem SAR-Wert sind beispielsweise ein Kind der Netzverdichtung - und kein heimliches Rütteln am Handy-Grenzwert.

Aus meiner Sicht ist die EMF-Debatte bekanntlich eine Inszenierung, um dem Helfergewerbe die Existenz zu sichern, "Sektor3" legt noch einen drauf und sagt, um die Tabak-Debatte aus der Schusslinie zu kriegen. Dazu fördert die Schädlich-Partei mit Hilfe dienstbarer Freiwilliger die Furch vor EMF wo es nur geht. Ohne Furcht kein Geschäft. Das Schlimmste was der Schädlich-Partei passieren kann ist Entwarnung auf breiter Front - deshalb werden "Entwarner" auch mehr als alles andere hingebungsvoll bekämpft. An Vermittlern kann diese Partei aus gleichem Grund grundsätzlich kein Interesse haben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
ICNIRP, Wissenschaft, Inszenierung, Pseudowissenschaft, Bioelektromagnetik, BEMS, Popanz, Kontroverse, Prüfstein


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