Über die Geburt der "guten wissenschaftlichen Praxis" (Forschung)

Gast, Dienstag, 17.09.2024, 23:49 (vor 53 Tagen)
bearbeitet von Gast, Mittwoch, 18.09.2024, 00:12

Von Stefan Weber, in Österreich bekannt als "Plagiatsjäger", ist kürzlich das Buch "Wissenschaftlichen Textbetrug erkennen" erschienen. Das Magazin Overton bringt daraus einen Auszug und wir bringen hier als Appetizer einen Auszug aus dem Auszug.

Im Jahr 1830 beschwerte sich der bekannte britische Mathematiker und Erfinder Charles Babbage über den Verfall der Wissenschaften. In seiner Schrift „Reflections on the Decline of Science in England, and on some of its Causes“[1] verwendet er für naturwissenschaftliche Manipulationen und Fälschungen Begriffe wie „Hoaxing“, „Forging“, „Trimming“ und „Cooking“. „Plagiarism“ kommt als Begriff nicht vor, nicht einmal das Wort „Stealing“. Aber schon im Jahr 1816 machte der Naturforscher Georges Baron de Cuvier seinem Ärger über das Plagiatsunwesen mit so deutlichen Worten Luft, dass sie fast von einem „Plagiatsjäger“ der Jetztzeit stammen könnten:

„Es giebt in meinen Augen kein heiligeres Eigenthum als das der geistigen Wahrnehmungen, und der, unter den Naturforschern nur zu gewöhnlich gewordene, Gebrauch, Plagiate unter Namenveränderungen zu verstecken, ist mir stets wie ein Verbrechen geschienen.“[2]

Zu diesem Zeitpunkt war die Vorstellung eines „geistigen Eigentums“ bereits knapp 100 Jahre alt – Nicolaus Hieronymus ­Gundling prägte 1726 diesen Begriff. Die Wissenschaft hat sich selbst ab ca. 1790 Regelwerke auferlegt, die unter dem Label „Hodegetik“ verbreitet wurden (griech.: Lehre von der Wegweisung, im Sinne von: Anleitung zum Studium). Wenn man die alten Quellen heute liest, fällt auf, dass sowohl Gundling, der Vater des geistigen Eigentums, den „schändlichen“ Nachdruck von Büchern unter anderem Namen beklagte als auch Cuvier von „Plagiate[n] unter Namenveränderungen“ sprach: Beide, Gundling und Cuvier, beanstandeten somit eine Praxis, die wir heute „Vollplagiate“ oder „Totalplagiate“ nennen: Nur der Verfassername wird verändert, es erfolgt somit die illegitime (oder unmoralische, oder beides) Aneignung eines gesamten Werks eines anderen abzüglich der korrekten Autorenangabe.

Bemerkenswert ist, dass alle genannten Autoren bei wört­lichen Zitaten doppelte Anführungszeichen (Zitatzeichen, „signum citationis“) verwendeten, aber die Norm, dies so zu tun, in den damaligen Werken der „Hode-getik“ meinem Kenntnisstand zufolge nirgendwo ausbuchstabiert wurde. Ich gehe daher – mit aller Vorsicht – davon aus, dass das Setzen von Anführungszeichen eine Interpunktions- und eine Druckernorm war, an der es keinen Zweifel gab – so wie ja auch nicht ernstlich angezweifelt wurde, dass ein Satz mit einem Punkt zu enden hat. Mit anderen Worten: Das Anführungszeichen, das im heutigen Plagiatsdiskurs doch so eine große Rolle spielt, wurde vor 200 Jahren wissenschaftlich nicht thematisiert. Ein Plagiat war eine Komplettübernahme. Das sieht natürlich heute ganz anders aus.

Eine der ersten ausbuchstabierten Regeln zum korrekten Zi­tieren in der Wissenschaft legte Ewald Standop mit seinem Klassiker „Die Form des wissenschaftlichen Manuskripts“ 1959 vor. In Standops Standardwerk findet sich nun endlich auch die Regel, dass ein „normales Zitat […] in doppelten Anführungszeichen („…“)“ (Standop 1959, S. 22) zu stehen hat. weiter ...

Hintergrund zu Stefan Weber
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