Gefälligkeitsrezension unter Gleichgesinnten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 20.06.2009, 13:15 (vor 5670 Tagen)

In seiner Rezension der neuen Broschüre der Bürgerinitiative Stuttgart West schreibt Karl Richter:

Materialreiche Fußnoten dokumentieren den internationalen Stand der Forschung und belegen auf überzeugender Grundlage, dass die These, man kenne noch keine Wirkmechanismen der Schädigung, eindeutig falsch ist.

Es ist doch immer wieder das gleiche Spiel, das hier gespielt wird. Und das geht so:

1) Behaupten, dass andere der Behauptung X nachhängen.
2) Irgendwelche Argumente gegen Behauptung X zusammentragen.
3) Laut verkünden, dass Behauptung X falsch sei.

Der infame Trick bei diesem Spiel überrumpelt die Spieler gleich zu Beginn: Behauptung X existiert nämlich gar nicht, sie wurde vom Kartengeber schlicht erfunden! Ob Richter dieses Spiel aus Unwissenheit oder Kalkül heraus spielt, weiß ich nicht, am Ergebnis ändert es sowieso nichts.

Um auf den Punkt zu kommen: Karl Richter hat es leider nicht so mit der Genauigkeit. Denn unbestritten gibt es schon seit Jahren eine ganze Reihe von Wirkmodellen über die biologische Wirkung schwacher EMF, eben jene Stuttgarter BI bringt solche Wirkmodelle immer wieder mal ins Gespräch, das Spektrum reicht vom puren esoterischen Stuss zu molekularbiologisch anspruchsvollen Hypothesen jenseits des Horizonts der allermeisten Kritiker. So legte beispielsweise Warnke schon 2005 ein Wirkmodell vor, das auf einer Stressthese beruht. Eines aber haben alle diese Wirkmodelle gemeinsam: Keines ist wissenschaftlich anerkannt! Anerkannt in dem Sinne, dass es die Vorgänge zutreffend, umfassend und widerspruchsfrei beschreibt. Richtig hätte Behauptung X also lauten müssen, "man kenne noch keine anerkannten Wirkmechanismen der Schädigung". Nur ein harmloses Wörtchen, es reicht aber, um den Sinn einer Aussage so zu verbiegen, dass der namenlose Erzfeind (Mobilfunker) wieder einmal diskret als vermeintlich kompetent überführter Lügner hingestellt werden kann. Diese subtile Denunziation ist kein Zufall, sie gehört zum Standardrepertoire der sogenannten "Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V.". Ich mag diesen Stil nicht, empfinde ihn als gemein und hinterhältig und so gar nicht passend zum edelmütigen Namen des Vereins. Warum manche schon gar keine Lust mehr haben, sich mit vorgetragenen Wirkmodellen auseinander zu setzen, fasst RDW hier in Worte.

Wirkmodelle, die nicht in wissenschaftlichen Fachpublikationen vorgestellt wurden, sondern z.B. auf Veranstaltungen präsentiert werden - das Modell von Warnke ist so eines - entziehen sich der wissenschaftlichen Begutachtung und sind daher nichts weiter als eine ungeprüfte These. Laien, und seien sie Literaturprofessor, sind mit der Beurteilung dieser Thesen nicht weniger überfordert als z.B. Technische Redakteure. Diese Beurteilung ist Sache von ausgewiesenen, nicht selbst ernannten Experten. Da die Autoren der Broschüre anonym bleiben wollen ist es nicht möglich, anhand der Autoren Rückschlüsse auf deren Kompetenz zu ziehen. Also bleibt abzuwarten, ob sich ein anerkannter Experte mit dieser Broschüre befassen wird und eine unvoreingenommene fachlich kompetente Rezension abgibt - und keine Gefälligkeitsrezension mit Werbecharakter.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Elektrosmog-Panikmache, Vetternwirtschaft, Denunzieren, Behauptung, Wirkmodell, Blendwerk, Broschüren, Zirkelschluss, Ko-Ini, Rezension, Goethe-Experte, Pensionäre


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