Bundestag: Petitionsausschuss lehnt EHS-Anerkennung ab (Elektrosensibilität)
Zugegeben, das Ereignis liegt schon ein paar Jahre zurück, da es jedoch in der Anti-Mobilfunk-Szene mWn nicht öffentlich kommuniziert wurde, ist noch immer ein gewisser Neuheitenwert gegeben. Es geht um diese Online-Petition an den Deutschen Bundestag vom 16. Juli 2011, in der eine Anerkennung von "Elektrosensiblen" als Behinderte gefordert wird. Eine Behinderung ab einem Grad der Behinderung von 50 gilt als Schwerbehinderung; in diesem Fall kann ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden.
Nachfolgend die Begründung des Petitionsausschusses zu seiner Entscheidung im Original-Wortlaut.
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 28.06.2012 abschließend beraten und beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.
Begründung
Die Petition fordert, dass elektrosensiblen Personen ein Behindertenstatus von mindestens 50 Prozent gewährt wird.
Im Zeitalter zunehmender Information und Kommunikation würde der Bürger elektromagnetischen Strahlen in erheblichem Umfang ausgesetzt, die bei elektrosensiblen Personen zu Schlafstörungen sowie Kopf- und Herzbeschwerden führten.
Vor diesem Hintergrund fordert die Petition die Schaffung einer unabhängigen Institution, die im Rahmen eines genormten Prüfverfahrens für die Diagnostizierung der Elektrosensibilität zuständig ist.
Wegen weiterer Einzelheiten zu dem Vorbringen wird auf den Inhalt der eingereichten Unterlagen verwiesen.
Bei der Eingabe handelt es sich um eine öffentliche Petition, die zum Abschlusstermin für die Mitzeichnung 148 Unterstützer fand sowie auf der Internetseite des Petitionsausschusses 122 Diskussionsbeiträge bewirkt hat.
Der Petitionsausschuss hat zu dem Anliegen eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) eingeholt das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich auf dieser Grundlage wie folgt zusammenfassen:
Der Petitionsausschuss stellt fest, dass in der Wissenschaft die Frage, ob und ggf. wie "Elektrosensibilität" objektiviert werden kann, seit Jahren diskutiert wird. Entscheidend für die Aussagekraft derartiger Untersuchungen ist, dass subjektive Faktoren wie Angst, Besorgnis und Erwartungen von der tatsächlichen Strahlenwirkung der elektromagnetischen Felder abgegrenzt werden können. Dies wird erreicht, indem die tatsächliche Expositionssituation während der Durchführung der Tests unbekannt ist ("Verblindung").
Alleine im Rahmen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms wurden zwei Studien mit "elektrosensiblen" Probanden im Labor sowie eine Feldstudie in den Wohnungen der Probanden durchgeführt. Zusammenhänge zwischen der Exposition durch elektromagnetische Felder und der selbstberichteten "Elektrosensibilität" konnten in keiner der Studien hergestellt werden. Allerdings zeigten sich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Befürchtungen gegenüber elektromagnetischen Feldern und dem Befinden sowie Placebo-Effekte (d.h. eine berichtete Verbesserung der Symptome ohne tatsächliche Veränderung der Exposition).
Zusammengefasst ist festzustellen, dass bisher trotz erheblicher Forschungsbemühungen weltweit mit keinem wissenschaftlich belastbaren Studiendesign der objektive Nachweis für "Elektrosensibilität" geführt werden konnte. Weder konnten "elektrosensible" Probanden statistisch abgesichert signifikant die tatsächliche Expositionssituation feststellen, noch konnten berichtete Symptome nachweislich in einen ursächlichen Zusammenhang mit niederfrequenten oder hochfrequenten Feldern gestellt werden. Ebenfalls wurden keine labor-klinischen Parameter gefunden, die als objektive Testgrößen für den Nachweis von "Elektrosensibilität" genutzt werden könnten.
Zu diesem Schluss kommt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie stellt fest, dass "Elektrosensibilität" durch eine Vielzahl unspezifischer, individuell unterschiedlicher Symptome charakterisiert ist. Diese Symptome sind zweifelsohne real und es wird nicht bezweifelt, dass sie für die Betroffenen einen zum Teil erheblichen Leidensdruck bedeuten. Auch die WHO stellt fest, dass es keine klaren diagnostischen Kriterien für "Elektrosensibilität" und keine wissenschaftliche Basis gibt, um die berichteten Symptome mit der Wirkung elektromagnetischer Felder zu verknüpfen.
Bei Provokationsstudien im Labor werden in der Regel Frequenzen und Expositionsszenarien ausgewählt, die für die Beschwerdesituation bzw. die berichteten Wahrnehmungsfähigkeiten typisch sind, z.B. Frequenzen des Mobilfunks.
Bei Feldstudien oder epidemiologischen Studien liegt im Wesentlichen die im Lebensumfeld der Probanden vorhandene Expositionssituation vor. Eine allgemein anerkannte "Standardmischung", die alle denkbaren Frequenzen, Feldstärken und Expositionscharakteristika in sämtlichen vorstellbaren Anteilsverhältnissen gleichzeitig beinhaltet, gibt es nicht und kann es auch nicht geben. In jedem Fall müsste eine Auswahl getroffen werden und bei einem negativen Studienergebnis könnte angeführt werden, der verwendete Signal-Mix sei für den individuellen Probanden eben nicht der richtige gewesen, um die individuellen Symptome auszulösen.
Anhand dieser Erwägungen wird deutlich, warum die Nichtexistenz eines Risikos oder eines Wirkungszusammenhangs grundsätzlich nicht wissenschaftlich bewiesen werden kann. Ein "genormtes Prüfverfahren" für den Nachweis von "Elektrosensibilität" existiert demzufolge nicht und zeichnet sich angesichts der vorliegenden Datenlage auch nicht ab.
Den in der Petition geforderten Behinderungsgrad von 50 Prozent für elektrosensible Personen würde nur auf der subjektiven Einschätzung der Betroffenen und der von ihnen hergestellten Beziehung zwischen gesundheitlichen Beschwerden und der Belastung mit elektromagnetischen Feldern beruhen, nicht jedoch auf objektiven diagnostischen Kriterien.
Vor diesem Hintergrund bittet der Petitionsausschuss um Verständnis, dass nicht auf dieser Grundlage alleine die Anerkennung eines Behindertenstatus möglich ist und empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden kann.
Der abweichende Antrag der Fraktionen der SPD, DIE LINKE. und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Petition der Bundesregierung - dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung - als Material zu überweisen, soweit es um die Erforschung von Elektrosmog und Elektrosensibilität beim Menschen geht, und das Petitionsverfahren im Übrigen abzuschließen, wurde mehrheitlich abgelehnt.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Märchenstunde in Diskussion um EHS-Anerkennung
Zugegeben, das Ereignis liegt schon ein paar Jahre zurück, da es jedoch in der Anti-Mobilfunk-Szene mWn nicht öffentlich kommuniziert wurde, ist noch immer ein gewisser Neuheitenwert gegeben. Es geht um diese Online-Petition an den Deutschen Bundestag vom 16. Juli 2011, in der eine Anerkennung von "Elektrosensiblen" als Behinderte gefordert wird. Eine Behinderung ab einem Grad der Behinderung von 50 gilt als Schwerbehinderung; in diesem Fall kann ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden.
Die Diskussion um diese gescheiterte EHS-Petition hat 122 Beiträge und macht an vielen Stellen deutlich, dass die Diskutanten nicht wissen wovon sie überhaupt reden. Beispiel: Das berühmte Märchen von den 6 Prozent Deutschen, die angeblich unter Elektrosmog leiden, wird auch dort in der Diskussion verbreitet und ausgiebig ventiliert.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –