Kommentar zu italienischen Hirntumor-Gerichtsfällen (Allgemein)
Die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM), Schweiz, bringt in ihrem jüngsten Newsletter einen Kommentar zu den beiden Aufsehen erregenden italienischen Gerichtsfällen wegen Hirntumoren infolge intensiver Handynutzung. Da der Kommentar angenehm unaufgeregt ist (Gegenbeispiel), möchte ich ihn den Lesern des IZgMF-Forums nicht vorenthalten.
Italienische Gerichtsfälle zu Handynutzung und Tumoren im Kopfbereich
Am 21. April 2017 haben viele Medien in ihren online Portalen über ein Gerichtsurteil aus Italien berichtet. Danach anerkennt das Gericht von Ivrea, ein kleines Städtchen nordöstlich von Turin und bekannt durch seine Orangenschlacht während des Karnevals, dass der bei einem Geschäftsmann diagnostizierte und operierte Hörnervtumor als eine berufsbedingte Krankheit anzusehen sei, die mit dem langjährigen Telefonieren des Mannes zusammenhänge (gemäss den Medienberichten hat der Kläger über 15 Jahre täglich 3-4 Stunden mobil telefoniert). Es wurde ihm eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit um 23% und eine monatliche Entschädigung wegen Hörschadens von 500 Euro zugesprochen.
Ähnliches Urteil schon früher gesprochen
Ein ähnliches Urteil wurde schon 2009 in Italien gefällt. Damals ging es um einen Mana-ger aus Brescia, der für seine Arbeit das Mobiltelefon 6 Stunden pro Tag während 12 Jah-ren nutzte. Wie im oben erwähnten Fall entschied das Gericht auch damals zu Gunsten des Klägers. Das Urteil wurde 2012 vom obersten Gericht in Rom bestätigt. Bei dieser Bestätigung ging es jedoch nicht um die inhaltliche Frage ob EMF (wirklich) die Ursache des Tumors war, sondern um Fragen der juristischen Rechtmässigkeit des durch die Richter in Brescia gefällten Urteils.
Wissenschaftliche Fakten und juristische Praxis
Bei richterlichen Güterabwägungen spielen wissenschaftliche Fakten eine wichtige, aber nicht die einzig wichtige Rolle. Im Falle kontroverser Sachlagen liegt es zudem im Ermessen der Gerichte zu entscheiden, welche Experten(meinungen) wie umfassend angehört bzw. berücksichtigt werden. So haben sich beispielsweise die Richter im Fall von Brescia primär auf Studien des schwedischen Epidemiologen Lennart Hardell berufen – seine Ergebnisse zeigen fast durchwegs erhöhte Risiken bei langzeitiger Telefonnutzung – während die Ergebnisse der bis heute grössten Untersuchung, der Interphone-Studie – sie zeigt keine oder nur wenige erhöhte Risikoschätzer – nicht gleichermassen berücksichtigt wurden. Auch im Fall Ivrea wurde Angelo Gino Levis als Experte angehört. Er vertritt, wie oben erwähnt, die Meinung von Lennart Hardell und steht den Interphone-Resultaten kritisch gegenüber.
Was Gerichte beschliessen, kann die öffentliche Debatte und die Medienberichterstattung befeuern und für die Assekuranz von finanzieller Bedeutung sein. Die wissenschaftliche Sachlage jedoch wird durch richterliche Entscheide wie diejenigen von Brescia oder Ivrea nicht verändert. Das können nur (neue) wissenschaftliche Evidenzen.
Weil die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeiten der letzten Jahren die Gesamtevidenz kaum verändert haben, bleibt die Risikoeinschätzung der IARC aus dem Jahre 2011 gültig: für langfristige und intensive Telefonnutzung weisen einige wissenschaftlichen Daten auf ein möglicherweise höheres Risiko einzelner Tumorarten im Kopfbereich hin. Diese Hinweise sind aber nicht „gesichert“, einerseits weil sie häufig auf sehr wenigen Fällen basieren (also eine eher geringe statistische Aussagekraft haben), andererseits weil sie auch aus Studien stammen, die nicht über jeden Zweifel erhaben sind (dabei geht es wesentlich um Einschränkungen der Aussagekraft aufgrund methodischer Limitationen). Wichtig ist zudem die Tatsache, dass sich in den Krebsstatistiken keine auffälligen Anstiege von Erkrankungsraten bei Kopftumoren zeigen.
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