Seitensprung: Lennart Hardell in der EHS-Forschung (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 27.10.2015, 23:03 (vor 3243 Tagen)

Jahrelang forschte der Schwede Lennart Hardell an Mobilfunkrebs und ist der Überzeugung, schwache EMF von Handys und DECT-Telefonen würde bei intensiver und lange andauernder Gerätenutzung bestimmte Kopftumoren begünstigen. Andere Wissenschaftler sehen dies nicht so, insbesondere die Tumorstatistiken sprechen gegen die Schlüsse Hardells.

Sozusagen als Erfrischung und zur Freude seiner privaten Geldgeber hat sich Prof. Hardell auf ein ihm fremdes Gebiet begeben und das Glatteis der absterbenden Elektrosensiblen-Forschung betreten: Electromagnetic hypersensitivity - an increasing challenge to the medical profession titelt die Literaturstudie, die er im September 2015 mit zwei Co-Autoren online im Webauftritt von "Reviews on Environmental Health" publiziert hat.

Beim Lesen des Abstracts ist mir eine Desinformation aufgefallen, die dort nicht hingehört:

Austria is the only country with a written suggestion to guidelines on the diagnosis and treatment of EMF-related health problems.

Hardell meint hier offenkundig die befremdliche "EMF-Leitlinie" des Dr. med. Gerd Oberfeld, Salzburg. Diese Leitlinie wurde bei der Sitzung der Referenten für Umweltmedizin der Landesärztekammern und der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) am 3. März 2012 in Wien verabschiedet und anschließend auf der Website der ÖÄK veröffentlicht.

Ob es die gesalzene Kritik an dem Papier war weiß ich nicht, auf jeden Fall nahm die ÖÄK diese EMF-Leitline bereits nach wenigen Monaten von der Website. Spätestens Anfang Oktober 2012 war die Leitline dort verschwunden und sie ist es bis heute geblieben. Nachfragen verliefen im Sande. Lediglich eine aller Voraussicht nach unautorisierte Downloadquelle auf der dubiosen Website einer deutschen "Ärzteinitiative" mit mutmaßlich kommerziellen Hintergrund gibt es noch.

Unter diesen Umständen ist die Behauptung von Hardell falsch, Österreich sei das einzige Land mit einer schriftlich fixierten EMF-Leitline. Unfreiwillig gibt Hardell damit auch eine irritierende Verstrickung mit der deutschen Anti-Mobilfunk-Szene zu erkennen. Denn auf ordentliche Weise kann er nichts von der EMF-Leitline wissen, weil diese seit spätestens Oktober 2012 nicht mehr existiert. Der einzige Zugang zu dem Papier führt über einen Hintereingang und organisierte deutsche Mobilfunkgegner mit fragwürdigen Motiven. Dass sich Hardell auf diese Gesellschaft einlässt ist vielsagend. Überraschend ist es nicht mehr, denn Hardell hatte in der Vergangenheit auch keine Skrupel, seine klamme Kasse von dem Ex-Tabaklobbyisten Franz Adlkofer und dem peinlichen Präsidenten des Anti-Mobilfunk-Vereins Gigaherz auffüllen zu lassen.

Meine Meinung: Hardell wurde von seinen neuen Freunden um diese Literaturstudie gebeten, als Gefälligkeit für die geleisteten finanziellen Zuwendungen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Schwede auch gleich mit dem "richtigen" Literaturmaterial versorgt, das er ohne Qualitätsprüfung verwertete, um das gewünschte Studienergebnis unter seinem guten Namen in die Welt zu setzen. Schon lange baggern Lobbyisten der unseriösen Umweltmedizin, um auf verschlungenen Wegen eine Anerkennung von EHS als physische Erkrankung zu erreichen. Gelänge ihnen dies, erschlösse sich der unseriösen Umweltmedizin eine Goldader, Baubiologen würden mit Aufträgen (Schirmmaßnahmen) überhäuft und die involvierten Strategen der Tabakindustrie würden sich anerkennend grinsend zunicken.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Tabak, Hardell, Studienübersicht, EMF-Leitlinie


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