Die Geschichte vom Abschirmschlafsack (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 13.08.2012, 00:15 (vor 4394 Tagen) @ Lilith

Den materiellen Profiteuren stehen also die seelischen Profiteure zur Seite ...

Wobei sich der eine schon mal gerne als der andere ausgibt.

Beispiel: Schirmende Schlafsäcke, eine fiktive Geschichte.

Jonas Gustavsson ist wenig amused. Der Geschäftsführer von Bavaria Shield hat die neuesten Quartalszahlen vor sich auf dem Tisch, sie sind der Grund für seine schlechte Laune: Der Absatz an Abschirmschlafsäcken will einfach nicht auf Touren kommen, dabei hatte er sich von diesem Produkt so viel versprochen. Kümmerliche sechzehn Stück wurden im letzten Quartal verkauft, geplant gewesen war das 10-fache!

Jetzt muss Eddie her. Gustavsson wählt eine Rufnummer in einem Vorort von Köln, führt wild gestikulierend ein kurzes Telefonat und wirft zufrieden den Hörer auf die Gabel seines Retro-Schnurtelefons vom Typ W48. Eddie ist seine Geheimwaffe, wenn ein Produkt nicht so richtig vom Markt angenommen wird.

Eddie macht sich noch am selben Tag an die Arbeit und postet bei Gigaherz unter dem Pseudonym "Ausblick!" scheinheilig die Frage, ob dort schon einmal jemand Abschirmschlafsäcke ausprobiert habe. Als erfahrenes Mietmaul weiß Eddie, dass er sich nur als Betroffener ausgeben muss, um seine unverhohlene Schleichwerbung ungestört ins Ziel zu bringen. Auch diesmal klappt der schlichte Trick problemlos, der Forum-Admin von Gigaherz bleibt still in seiner Hütte. Ein paar Tage später schleicht sich unser Mann unter dem Pseudonym "Juppy" in das Krankenforum symptome.ch, um auch dort sein virales Marketing für Bavaria Shield zu betreiben.

Im Grunde genommen hat Eddie seinen Job damit schon erledigt, seine Postings stehen im Netz, werden gelesen und erfahrungsgemäß suchen die Leute dann mit Stichworten, die sie früher oder später auf die Website von Gustavsson lotsen. Andere Treffer sind kein Verlust, denn Bavaria Shield beliefert fast alle anderen Anbieter mit OEM-Versionen seiner Abschirmschlafsäcke.

Vier Tage nach seinem Gigaherz-Posting schaut Eddie nach, ob sein Startposting die gewünschte Diskussion in Gang gesetzt hat. Enttäuscht stellt er fest, dass dies nicht der Fall ist. Er beschließt, diesmal unter "Josef", die schwache Resonanz zu beklagen. Zumindest schafft er es damit, sein Posting im Forum wieder nach oben auf die vorderen Plätze zu bringen. Dummerweise wird dadurch ein Konkurrent aufmerksam, Maschinenbauer "Charles" aus Holland rät vom Gebrauch eines Abschirmschlafsacks ab, denn da wäre die Schirmung zu nah am Körper und deshalb wirkungslos. Später wird "Charles" nach anfügen, die Abschirmung würde sich nach gewisser Zeit vollgesaugt haben und die "Information" wieder abstrahlen. Das beste, so "Charles", sei noch immer die Stärkung des Immunsystems. Der Holländer muss dies schreiben, denn er hat ein Produkt dafür im Programm, Abschirmschlafsäcke aber vertreibt er nicht.

Eddie ist empört, versaut ihm doch der Holländer seinen so schön eingefädelten Auftritt bei Gigaherz. Unter den Pseudonymen "Gastfrage" und "Josef" versucht er zu retten, was zu retten ist. Freilich immer schön defensiv und sich dumm stellend, denn aggressives Gegenhalten würde möglicherweise den Verdacht zünden, sämtliche Beteiligte in dem Strang würden nur an eines denken: ans Geschäft.

Da Eddie noch anderweitig Aufträge abzuarbeiten hat, ist er nicht daran interessiert, die Diskussion mit "Charles" lange weiter zu führen. Er erweckt daher sein Pseudonym "Ausblick!" zu neuem Leben und lässt es ein paar belanglose Dankesfloskeln aufsagen, mit denen er seinen Ausstieg aus dem Strang einleitet.

Im Großen und Ganzen ist Eddie mit seiner getarnten Aktion zufrieden, Suchmaschinen werden unter den relevanten Suchbegriffen seine Einträge in den Zielgruppenforen finden und Gustavssons darbendes Geschäft mit Abschirmschlafsäcken mittelfristig befeuern. Den sachlich irrelevanten Einspruch des Holländers kann das Mietmaul verschmerzen, denn natürlich spielt es keine Rolle, ob sich jemand nah oder fern hinter einer Abschirmung befindet, und sich vollsaugende Abschirmungen sind nichts weiter als homöopathisch befeuerter Märchenkram. Eddie merkt sich vor, "Charles" demnächst einmal anzschreiben, und ihm seine Dienste als Mietmaul für "Claesmog" anzubieten. Jetzt muss nur noch Gustavsson das vereinbarte Honorar zahlen, und alles ist in Butter.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Marketing, Abschirmung


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