Journalisten schreiben zu oft voneinander ab (Allgemein)

Doris @, Sonntag, 29.06.2008, 14:21 (vor 5919 Tagen)

Studie: Journalisten schreiben zu oft voneinander ab
Journalistische Onlinerecherche auf dem Prüfstand

Die Qualität der journalistischen Recherche muss verbessert werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen (LfM). Journalisten schreiben zu viel voneinander ab, statt sich mit Primärquellen auseinanderzusetzen. Und sie verlassen sich zu sehr auf Google.
Die Recherche im Internet liefert schnell eine große Vielfalt an Informationen und bietet Journalisten erhebliche Vorteile. Doch veränderte Rahmenbedingungen in Redaktionen bergen Risiken und führen zu Qualitätsmängeln, mahnt die LfM anlässlich der Vorstellung der Studie "Journalistische Recherche im Internet". Eine Überprüfung von Onlinequellen finde nur selten statt.

Dabei greifen Journalisten bei ihrer Recherche im Netz vornehmlich auf andere journalistische Erzeugnisse zurück, und nicht auf Primärquellen wie Websites von politischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Einrichtungen: "Man schreibt also sprichwörtlich voneinander ab", kommentiert die LfM die Studienergebnisse.

Marcel Machill von der Universität Leipzig, der die Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) geleitet hat, beobachtet in diesem Zusammenhang eine gesteigerte Selbstreferenzialität im Journalismus: "Computergestützte Recherche macht es den Medienschaffenden noch einfacher, schnell nachzuschauen, was die Kollegen zu einem aktuellen Thema erarbeitet haben."

Untersucht wurden 34 Medienangebote, darunter Tageszeitungen, öffentlich-rechtliche und private Hörfunk- und TV-Sender sowie redaktionelle Onlineangebote. Rund 600 Journalisten wurden für die Studie bundesweit schriftlich befragt und 235 Journalisten bei ihrer Arbeit beobachtet.

Nach wie vor ist das Telefon das wichtigste Rechercheinstrument von Journalisten. Doch gerade bei der Ermittlung von Zusatzquellen - wenn Journalisten also das auf ihren Schreibtisch eingehende Material erweitern wollen - kommen die Suchmaschinen im Internet zum Einsatz. Und hier dominiert auch bei den Medienschaffenden eindeutig Google den Markt. Wer bei Google beispielsweise zu einem aktuellen journalistischen Thema als Experte unter den ersten zehn Treffern gelistet wird, hat größte Chancen, wiederum von Journalisten interviewt zu werden. Die Suchmaschine kanalisiert also auch bei den professionellen Kommunikatoren die Aufmerksamkeit, so die Autoren der Studie.

Die befragten Redakteure sehen indes die Dominanz des privaten Suchmaschinenanbieters Google überwiegend pragmatisch: Sie sind sich möglicher Probleme bewusst, greifen aber weiterhin auf die marktführenden Angebote zurück, statt alternativ in Eigeninitiative unabhängige Quellen zu recherchieren. Dafür werden hauptsächlich strukturelle Gründe wie personelle Engpässe und Zeitmangel im Redaktionsalltag verantwortlich gemacht.

"Unsere Pilotstudie 'Journalistische Recherche im Internet' verweist auf einen prekären Sachverhalt", sagt LfM-Direktor Norbert Schneider: "Die Medienunternehmen müssen ein hohes Eigeninteresse daran haben, dass ihre Nachrichten sauber recherchiert sind - auch wenn sie auf Onlinerecherche beruhen. Schließlich geht es hier um ein hohes Gut der Medien: nämlich ihre Glaubwürdigkeit, die man in der Regel nur einmal verlieren kann."

Die LfM-Studie formuliert vor diesem Hintergrund spezielle Handlungsempfehlungen, darunter das Berufsbild des Dokumentationsjournalisten zu fördern. Im anglo-amerikanischen Bereich sind die sogenannten "fact-checkers" in vielen Redaktionen Standard. Bei der journalistischen Aus- und Fortbildung, so eine weitere Empfehlung der Studie, müsse Recherchekompetenz verstärkt in den Fokus gerückt werden. Auch Überlegungen, selbst eine genossenschaftlich finanzierte, verlässliche und unparteiische Suchmaschine zu entwickeln, bringt die LfM ins Gespräch.

Die Studie (ISBN 978-3-89158-480-4) ist in der Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen erschienen und kann für 23 Euro bestellt werden. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ist unter lfm-nrw.de zu finden. (ji)


http://www.golem.de/0806/60576.html

Tags:
Qualitätsmängel, Journalisten, Pilotstudie, Handlungsempfehlung

Journalisten schreiben zu oft voneinander ab

H. Lamarr @, München, Sonntag, 29.06.2008, 14:59 (vor 5919 Tagen) @ Doris

Schließlich geht es hier um ein hohes Gut der Medien: nämlich ihre Glaubwürdigkeit, die man in der Regel nur einmal verlieren kann."

Gilt 1:1 auch für öffentlich wahrgenommene Kritiker.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Journalisten schreiben zu oft voneinander ab

Doris @, Sonntag, 29.06.2008, 15:07 (vor 5919 Tagen) @ H. Lamarr

Schließlich geht es hier um ein hohes Gut der Medien: nämlich ihre Glaubwürdigkeit, die man in der Regel nur einmal verlieren kann."

Gilt 1:1 auch für öffentlich wahrgenommene Kritiker.

Richtig, diesen Kommentar verkniff ich mir (hatte schon angesetzt) und dachte dann, den überlasse ich anderen. ;-)

Das Problem ist, dass hier die Risiken qualitativ schlechter Arbeit in der Masse der Verbreitung liegt. Wenn man etwas überall liest, dann muss es doch stimmen.

Extreme sind Profiteure schlechten Journalismus' ▼

AnKa, Sonntag, 29.06.2008, 17:16 (vor 5919 Tagen) @ Doris

Die LfM-Studie formuliert vor diesem Hintergrund spezielle Handlungsempfehlungen, darunter das Berufsbild des Dokumentationsjournalisten zu fördern.

Eine gute Forderung. Jedoch zahlen die Kunden nicht jeden Preis dafür. Insbesondere lokale Blätter sind personell limitiert.

Das voneinander-Abschreiben hat gerade in der Provinz ein Gutteil dazu beigetragen, dass extreme Ansichten zur angeblichen Gefährlichkeit der Mobilfunksender bisweilen ganze Dörfer aufgemischt haben. Lokalredaktionen sind in den vergangenen Jahren beim "fact-checking" der theatralisch vorgetragenen Mobilfunk-Alarmberichte überfordert gewesen, und sind andererseits nicht selten der Verlockung verfallen, endlich auch mal vor Ort ein "Thema" im Lokalteil drinzuhaben.

Insofern waren doch gerade die Extremisten innerhalb der mobilfunkkritischen Bewegung lange Jahre die Profiteure des bedauerlichen Zustandes, dass sich nicht jede kleine Redaktion hochbezahlte Spezialisten leisten kann. Diesen Zustand haben die Extremen sehr gut nutzen können, um ihre angstschürenden Behauptungen und Verallgemeinerungen zu verbreiten. Sie sollten somit die Allerletzten sein, die sich über "schlechten Journalismus" zu mokieren haben.

Dieser Zustand ändert sich jedoch derzeit, zum Glück, bezüglich des Themas "Mobilfunkgefahr" nachhaltig, nicht zuletzt, weil Publikationen wie der SPIEGEL und die ZEIT ("Tock, Tock, Tock" ) sich des Phänomens einer bizarren Aufgeregtheit in der Provinz mal ein bisschen ausführlicher angenommen hatten.

Und es sind bestimmte Publikationen, die überregional mit kompetenten Journalistenteams arbeiten, wichtiger und legitimer Backup für die "kleinen" Journalisten vor Ort. Wenn der SPIEGEL einen Aufmacher hat, erscheinen i.d.R. am Dienstag in den Tageszeitungen Folgeartikel, die auf die Recherche des SPIEGEL-Teams aufsetzen. Diesen Vorgang als "Abschreiben" zu bezeichnen, würde mangelnde Kenntnis des so Urteilenden verraten. Nicht jeder Journalist muss das Rad von Anfang an neu erfinden, wenn er ein Thema aufgreift.

Troll-Wiese: http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?mode=entry&id=22449

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"Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere." (Groucho Marx)

Der Spiegel....

caro, Montag, 30.06.2008, 12:06 (vor 5918 Tagen) @ AnKa
bearbeitet von caro, Montag, 30.06.2008, 13:15

Und es sind bestimmte Publikationen, die überregional mit kompetenten Journalistenteams arbeiten, wichtiger und legitimer Backup für die "kleinen" Journalisten vor Ort.

Nach Aust muss sich erst Mal zeigen wie es weiter geht beim Spiegel. Zum Beispiel in Sachen Industrie-Nähe. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/politischeliteratur/391443/
Lesenswert bei Oliver Gehrs z.B. die Passage über den Umgang mit dem Thema Windenergie beim Spiegel, S. 310 ff.

Deutschland braucht mehr Sendemasten

H. Lamarr @, München, Dienstag, 01.07.2008, 01:01 (vor 5918 Tagen) @ Doris

Studie: Journalisten schreiben zu oft voneinander ab

Da findet sich z.B. bei silicon.de die verheißungsvolle Titelzeile:

Deutschland braucht mehr Sendemasten

Gut, macht neugierig. Vor Ort angekommen erwartet einen dann aber ein Schwindelanfall der Autorin, die sich im Vorspann der Meldung doch allen Ernstes dazu versteigt, zu behaupten, ein Gutachten der Bundesregierung habe ergeben, es müsse einen weiteren Ausbau der Sendeanlagen geben. Leider stützt der Text des Artikels diese Behauptung dann überhaupt nicht. Dabei schreibt die Autorin zwar tatsächlich über ein Gutachten, genauer gesagt über das Jahresgutachten 2007, doch kommt das mitnichten vom Bund, sondern vom IZMF. Regierung in Berlin, IZMF ebenfalls in Berlin und dann auch noch BUM Gabriel mit seiner Pressekonferenz zum Mobilfunk-Forschungsprogramm - das muss zuviel gewesen sein für Kathrin.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Seilschaften Bund und IZMF

KlaKla, Dienstag, 01.07.2008, 08:04 (vor 5917 Tagen) @ H. Lamarr
bearbeitet von KlaKla, Dienstag, 01.07.2008, 08:30

Vor Ort angekommen erwartet einen dann aber ein Schwindelanfall der Autorin, die sich im Vorspann der Meldung doch allen Ernstes dazu versteigt, zu behaupten, ein Gutachten der Bundesregierung habe ergeben, es müsse einen weiteren Ausbau der Sendeanlagen geben. Leider stützt der Text des Artikels diese Behauptung dann überhaupt nicht. Dabei schreibt die Autorin zwar tatsächlich über ein Gutachten, genauer gesagt über das Jahresgutachten 2007, doch kommt das mitnichten vom Bund, sondern vom IZMF.

Das IZMF schreibt sich selbst das passende Gutachten. Das wäre ein Punkt, wo Parteien einhaken sollten. Bekämpfen von Korruption. Gewidmet zum soufflieren für Dr. Schmidt. ;-)

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