"Live nach Neun" äußert sich zu Scheidsteger-Interview (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 12.04.2019, 14:05 (vor 1961 Tagen) @ H. Lamarr

Eine Erklärung, warum Klaus Scheidsteger ausgerechnet beim WDR landen konnte, gibt seine berufliche Karriere.

Da dies eine spekulative Vermutung ist, wollte ich es genau wissen und fragte bei der Redaktionsleitung der Sendung "Live nach Neun" nach, ob die Redaktion Scheidsteger aus freien Stücken eingeladen hat, oder ob der Auftritt auf andere Weise zustande gekommen sei. Diese Anfrage blieb unbeantwortet, ebenso die Nachfrage nach ein paar Tagen.

Am 9. April traf dann überraschend doch noch Antwort ein. Die Redaktionsleiterin schreibt, Live nach Neun wolle ganz bestimmt keine Ängste schüren. Klaus Scheidsteger sei ein Journalist, der sich mit Risiken der Mobilfunktechnik auseinandersetzt. Dieses Thema beschäftige zunehmend mehr Menschen in der Gesellschaft, daher habe ihn die Redaktion eingeladen. Das Interview sei nicht einseitig geführt worden, der Moderator habe auch die andere Position eingenommen.

Ja, das kann man so sehen. Meine Sicht aber ist eine andere.

Denn wäre es, zur Veranschaulichung überspitzt gesagt, in Ordnung, einen 49-Jährigen Vielredner wegen dessen kometenhaften Aufstieg in der Politik in die Sendung einzuladen, damit er dort vortragen kann: "Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa." Ein verdutzter Moderator könnte vielleicht noch dagegen einwenden "Also hören Sie mal, dies klingt ja geradezu so, als ob Sie die Juden als Faustpfand gegen das Ausland einsetzen möchten, um Ihre Ambitionen in Europa durchzusetzen", bevor das auf sechs Minuten angesetzte Gespräch eilends auf den beschäftigungspolitisch bedeutsamen Bau von Autobahnen abbiegt.

Was ich damit sagen will: Populisten eine Bühne zu bieten ist riskant, denn sie nutzen jede Gelegenheit, um ihre Botschaften der Bevölkerung einzuhämmern. Bei dem Scheidsteger-Interview hat der Moderator tatsächlich auch Gegenpositionen erwähnt, wie man sie vorbereitend schnell googeln kann. Doch das war zu wenig, um Scheidsteger in echte Bedrängnis zu bringen, der konnte sein Zeug weitgehend ungestört vortragen. Der Moderator hätte z.B. fragen können, warum Scheidsteger in seinen Filmen die Gegenposition nur schwach als unglaubwürdiges Alibi präsentiert, seine Gesinnungsfreunde hingegen als großartige starke Helden auftreten lässt. Oder, warum ausgerechnet ein Filmemacher sich berufen fühlt über etwas zu befinden, worüber ein Gruppe wissenschaftlicher Außenseiter seit mehr als 20 Jahren ergebnislos mit Vertretern der Mehrheit der Wissenschaftler streitet. Oder, wie er dazu kommt, bekannte Interessenvertreter wie George Carlo und Franz Adlkofer hoch zu jubeln, obwohl deren Westen stark fleckig sind. Oder, ob er noch mit den Firmen Memon und Gabriel-Tech zusammenarbeitet. Oder auch nur, ob er sich für "elektrosensibel" hält.

Alle diese Fragen konnte der Moderator nicht stellen, weil er sich mit dem Treiben der Anti-Mobilfunk-Szene nicht auskennt. Doch dass Scheidsteger ein Populist ist, das lässt sich aus meiner Sicht für Journalisten mühelos an seinen Werken erkennen. Wie aus dem Interview deutlich wird, haben die Redaktion und der Filmemacher sein Werk "Thank You for Calling" vor der Sendung gemeinsam angesehen, die Redaktion war also im Bilde, mit wem sie es zu tun hat. Der Fehler der Redaktion, den Filmemacher überhaupt eingeladen zu haben, war zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich nicht mehr zu korrigieren gewesen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Werbung, Seilschaft, WDR, Populist, Gabriel-Tech, Memon, Scheidsteger, Interview


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