Neuer Scheidsteger-Film: Wenn die Gondeln Trower tragen (Allgemein)
Nach "Der Handykrieg" und "Thank You for Calling" hat Filmemacher Klaus Scheidsteger im Dezember 2018 seinen dritten Anti-Mobilfunk-Film auf DVD gebrannt. Der Titel des Werkes ist variabel, bei YouTube lautet er "Wie gefährlich ist Mobilfunkstrahlung - Faktencheck", die sogenannte Kompetenzinitiative spricht von "Faktencheck – Die gesundheitliche Wirkung der Mobilfunkstrahlung" und Diagnose-Funk redet von "Mobilfunk Faktencheck". Eine 6-minütige Kostprobe gibt es gratis auf YouTube, wer die gesamten 90 Minuten sehen möchte muss bei Diagnose-Funk 24,40 Euro zuzüglich Versand hinblättern.
Der Brite Barrie Trower ist so etwas wie der Karl May der Anti-Mobilfunk-Szene, nicht zu verwechseln mit Theresa May. Trower erzählt, angeblich aus geheimen Erfahrungen heraus, Bierernstes über schreckliche Gefahren von Mikrowellen, so wie Hochstapler Karl May sich vor gut 100 Jahren Aufregendes über Apachenhäuptling Winnetou aus den Fingern saugte. Ich halte auch Trower für einen Hochstapler mit dem Unterschied: May erzählt Märchen für Kinder und Jugendliche, Trower hingegen für erwachsene Mobilfunkgegner. Wer im IZgMF-Forum nach Trower sucht, findet ihn gut versteckt auch im Wort Elektrowerkstatt. Das passt zu dem Mann, der vorgibt, ehemals für britische Geheimdienste gearbeitet und an geheimen Militärprojekten mitgewirkt zu haben. Das enorm Praktische an diesen Quellen ist: sie sind verschwiegen und daher nicht überprüfbar. Anstoß nehmen die überzeugten Mobilfunkgegner Mosgöller, Scheidsteger, Zwerenz und Krout daran nicht, sie lauschen, wie in der Vorschau zu sehen, dem Märchenerzähler in dessen privatem Hörsaal andächtig.
Trower erscheint über der Anti-Mobilfunk-Szene seit 2010 regelmäßig, besonders gerne in Videos. Über seine Vergangenheit und wahre Qualifikation ist außer seiner Selbstdarstellung so gut wie nichts bekannt, gemäß dieser Quelle war er vor seinem Ruhestand Physiklehrer an der Gesamtschule South Dartmoor Community College in England. Rational Wiki führt ihn als Pseudowissenschaftler. Google meldet zu seinem Namen knapp 180 Treffer, die weit überwiegende Mehrzahl davon auf mehr oder weniger schrägen Seiten der Spinner-, Verschwörungs-, Geschäftemacher- und Anti-Mobilfunk-Szene.
Irgendeinen Auftritt von Barrie Trower auf einem anerkannten wissenschaftlichen Kongress konnte ich ebenso wenig finden wie ein seriöses Blatt, das den Stuss des alten Herren abdruckte. Nicht einmal die wenig zimperliche britische Boulevardpresse gab sich dafür her und sogar Psiram ist Trower zu bedeutungslos. 2010 distanziere sich die britische Polizeigewerkschaft von einem Behördenfunkreport Trowers. Dies alles qualifiziert den Briten, um von Klaus Scheidsteger großspurig als "Mobilfunkexperte" vorgestellt zu werden, "der auf der ganzen Welt gefragt ist". Wie Scheidsteger das Publikum täuscht, dokumentiert er gleich selbst zu Beginn (00:30) des Teasers mit der Einführung:
Wir, das ist eine deutsch-österreichische Delegation aus Wissenschaftlern, Ärzten und Fachleuten im Bereich Mobilfunkstrahlung.
Schauen wir nach, wer dort tatsächlich auf den Platz gelaufen kam, um sichtlich entzückt einem haarlosen Barrie Trower die Aufwartung zu machen (in chronologischer Reihenfolge:
Wilhelm Mosgöller: Ein österreichischer Wissenschaftler und bekennender Mobilfunkkritiker aus der zweiten oder dritten Reihe, der in den Reflex-Studienskandal an der Medizinischen Universität Wien verwickelt ist. Mosgöller trat bereits in "Thank You for Calling" auf und hatte keine Berührungsängste, mit der pseudowissenschaftlich auffälligen und kommerziell erfolglosen österreichischen Ärztin Dr. med. Elisabeth Plank ein gemeinsames Projekt zu planen.
Monika Krout: Eine gemäß eigener Darstellung elektrosensible Witwe, die den Tod ihres Ehemannes dem Elektrosmog anlastet. Frau Krout ist Ärztin und stellte anlässlich eines pseudowissenschaftlichen Experiments bei einem Lama (nicht Dalai Lama) "Elektrosensibilität" fest.
Jugendlicher: unbekannt
Siegfried Zwerenz: Der Radio- und Fernsehtechniker (eigene Angabe) ist Chef des maroden Anti-Mobilfunk-Vereins "Bürgerwelle" und glaubt ebenfalls, elektrosensibel zu sein. 2005 waren Scheidsteger und Zwerenz Geschäftspartner, die Bürgerwelle übernahm den DVD-Vertrieb des Films "Der Handykrieg". 2015 meldete die Bürgerwelle nach internen Querelen Insolvenz an, wurde anschließend neu gegründet und fristet seither ein Schattendasein. Scheidsteger wechselte zu Diagnose-Funk als Vertriebspartner.
Frau mit Brille: unbekannt
Lothar Moll: Dass es sich bei dem Wuschelkopf um Lothar Moll handelt ist nicht zweifelsfrei belegt. Moll stieg 2017 in die Anti-Mobilfunk-Szene ein mit dem Vertrieb des in Frankreich produzierten Anti-Mobilfunk-Films "Das Strahlungskartell". Er ist Baustoffhändler und beliefert Baubiologen mit seinen Waren, kommerzielles Interesse an einer möglichst endlosen Mobilfunkdebatte ist offensichtlich.
Klaus Scheidsteger: Verunsichert seit 2005 die Bevölkerung mit Desinformation über Mobilfunk. Aus Scheidstegers Sicht sind seine Filme "Dokumentationen". Sein Hauptwerk "Thank You for Calling" lief ab 2016 in kleinen Programmkinos bevor Diagnose-Funk den DVD-Vertrieb übernahm. Scheidesteger pflegt engen Kontakt mit dem anrüchigen US-Lobbyisten George Carlo. 2018, bis dahin ein Außenseiter in der hiesigen Szene, trat Scheidsteger in den Vorstand der sogenannten Kompetenzinitiative ein.
Wo in dieser Delegation die "Fachleute im Bereich Mobilfunkstrahlung" gewesen sein sollen konnte ich nicht herausfinden, sie müssen sich hinter der Kamera aufgehalten haben.
Mein Fazit: Der Rückgriff auf Barrie Trower belegt Scheidstegers ungebrochen Willen zur Desinformation der Bevölkerung. Der Brite passt zu "Faktencheck" wie Wasser zu Feuer. Und der unverschämt hohe Preis für die DVD ist ein starkes Indiz für banales kommerzielles Interesse. Es geht Scheidsteger nicht um Fakten, sondern um alternative Fakten aus einer schrägen Parallelwelt, in der andere Gesetze herrschen als in unserer Welt. Sekundäre Nutznießer des Films sind wie immer Profiteure der Angst vor Elektrosmog, zu finden z.B. unter Baubiologen, Heilern, Umweltmedizinern, Herstellern von Elektrosmog-Messtechnik, Rechtsanwälten, Staatsfeinden und Politikern. Dem Einwand, dass die 6-Minuten-Vorschau auf Scheidstegers jüngstes Werk nicht ausreicht, um den kompletten 90-Minuten-Streifen infrage zu stellen, halte ich entgegen: Doch, mir genügt die Vorschau, denn ich habe die älteren Filme in voller Länge gesehen, was mMn genauso schwer zu ertragen ist wie eine glühende Goebbels-Rede. Scheidsteger ist von unerträglicher Gewissheit und setzt sein Handwerkszeug ohne Skrupel clever ein, um die öffentliche Meinung in seinem Sinne zu beeinflussen. Ich habe nicht den geringsten Grund zu der Annahme, die restlichen 84 Minuten seines Streifens, in denen Devra Davis und Karl Hecht auftauchen sollen, verfolgten anständigere Ziele. "Fachleute im Bereich Mobilfunkstrahlung" wird der Film anwidern, Laien werden ihn in ihrer Funktion als "nützliche Idioten" Gemeinderäten andienen, sobald Gefahr droht, dass ihnen ein Sendemast vor die Nase gesetzt werden soll. Ohne "nützliche Idioten" wäre den Geschäften mit der Angst die Grundlage entzogen.
Wenn die Gondeln Trauer tragen ist ein 1973 herausgekommener Horrorfilm von Format mit Starbesetzung. Scheidstegers Anti-Mobilfunk-Streifen sind Horrorfilme. Seine banalen Recherchen betrachtet er wie immer als "hoch brisant", seine dubiosen Informanten als "renommiert".
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –