Déjà-vu: Windradgegner vs. Sendemastgegner (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 10.06.2015, 13:11 (vor 3437 Tagen)

Das 10 Minuten dauernde Spiegel-Video Krank durch Infraschall? macht betroffen. Zugleich bekomme ich aber das nagende Gefühl nicht los, dass sich bei Windrädern das gleiche wiederholt, wie wir es von Mobilfunk-Sendemasten nur zu gut kennen: Gefühlte Ängste, überzeugte Betroffene, wütende Pfarrer, kranke Kühe, verstörte Pferde, alarmierende Botschaften aus der Wissenschaft.

Als Neuzugang in der Mobilfunkdebatte waren mir 2002 alle diese Signale und ein paar andere mehr überzeugend genug, das Risiko Mobilfunk als reales Gesundheitsrisiko einzustufen und für ein paar Jahre in Abwehrhaltung zu gehen. Erst spät wurde mir klar, dass die Mobilfunkdebatte größtenteils eine geschickte Inszenierung ist, um die materiellen/immateriellen Interessen einiger Weniger zu bedienen. Die Erkenntnis kam nicht von alleine, auch der Heilige Geist hat sich in dieser Sache meiner nicht angenommen, sondern es war mühsames Recherchieren von Widersprüchen und Hintergründen. Bei der Windkraft habe ich dies nicht gemacht und stehe wie jeder andere Zaungast mit offenem Mund da. Auf den ersten Blick kann ich auch keine der materiellen Profiteure ausmachen, die mir bei Sendemastengegnern so selbstverständlich geworden sind.

Womit ich sagen will: Windkraftgegner wirken auf mich wie Abziehbilder von Sendemastgegnern. Da ich von der Anti-Windkraft-Szene jedoch keine Ahnung habe und über Infraschall nur das nötigste weiß, halte ich mich mit einer Wertung über diesen noch relativ jungen Bürgerprotest zurück und warte ab, was ein noch zu gründendes Bundesamt für Windkraftanlagen dazu sagt. Denn eines weiß ich: Sich allein aufgrund des Spiegel-Videos eine Meinung zu bilden wäre zwar bequem aber leichtfertig und mit einem beträchtlichen Irrtumsrisiko behaftet.

Hintergrund
Windrad-Syndrom: Krank aus Angst vor Infraschall
Windräder: Fürchten wir uns ins Krankenhaus?

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Sendemastgegner, Déjà-vu, Windrad, Infraschall, Windradgegner

Déjà-vu: Windradgegner vs. Sendemastgegner

cassandra, Mittwoch, 10.06.2015, 13:35 (vor 3437 Tagen) @ H. Lamarr

Ja, diesen Gedanken hatte ich kürzlich auch, als ich diesen Artikel aus der WamS in die Finger bekam. Man ersetze beim Lesen gedanklich einfach mal "Windkraft" durch "Mobilfunk"...

Déjà-vu: Windradgegner vs. Sendemastgegner

Kuddel, Mittwoch, 10.06.2015, 20:36 (vor 3436 Tagen) @ H. Lamarr
bearbeitet von Kuddel, Mittwoch, 10.06.2015, 21:19

Irgendwo müssen die Hypothesen (Infraschall macht krank) und daraus abgeleiteten Ängste ja her kommen.

Schaut man mal in den Almanach (Seite 897ff) des Geschäfts mit der Angst, so findet man die üblichen anekdotischen "Fallbeispiele" und kann daraus ableiten, was die Multiplikatoren der Verbände für Baubiologie ihren Kunden so erzählen:

<hier> und <hier> und <hier> und <hier>...etc-pp..... dann findet man Aussagen wie:

In der Umgebung vorkommender Infraschall erzeugt die selben Phänomene, wenn er vom Menschen unbewusst wahrgenommen wird. Sowohl als Luft oder auch Bodenschwingungen.

Eine Messung mit modernen Messgeräten kann bei der Lokalisierung und Beseitigung der Quelle helfen.

Immissionsbelastungen durch Infraschall und tieffrequente Geräusche werden in der Bevölkerung zunehmend thematisiert. Die Forscher stellten fest, dass viele der negativen Auswirkungen von Infraschalleinwirkungen die Bereiche Herz-Kreislaufsystem, Konzentration und Reaktionszeit, Gleichgewichtsorgane, das Nervensystem und die auditiven Sinnesorgane betreffen. Probanden klagten häufig über Schwindel- und Unbehaglichkeitsempfindungen bei Infraschallexposition.

Aufgrund der unter den biologischen Wirkungen genannten gravierenden Auswirkungen von Lärm ist es unbedingt notwendig, Ruhezonen zu schaffen.
Wenn Sie die Vermutung haben, durch nicht hörbaren Schall bzw. Vibrationen belästigt zu werden, finden und beseitigen Sie die Emmission.

Allerdings muss ich zugeben, daß diesmal Ursache zu möglicher Wirkung "plausibler" erscheint, als beim Thema Elektrosmog.
Ich z.B. fühle mich auch durch tickende Uhren im Schlafzimmer gestört und die Aquqarienpumpe des Nachbarn höre ich in bestimmten Ecken ebenfalls. Es brauchte eine Weile bis ich heraus hatte, was es ist ("spinn ich ?...Ach so, Aquarium), aber im Prinzip hat mich der Brummton kaum gestört, da es ja ein gleichmäßiger und nicht besonders unangenehmer Ton ist, den man ausblenden kann , wenn man sich nicht absichtlich darauf konzentriert.
Aber "fiepende" Netzteile sind für mich ein absoluter Graus ...

Problematisch wird's dann, wenn der Baubiologe eine Urache für unspezifische Beschwerden suchen/finden soll und dann einfach Zusammenhänge hergestellt werden, gemäß dem Motto
...in letzter Zeit schlecht schlafen - Windrad in 500 Meter Entfernung - Sendemast in 1000 Meter Entfernung, DECT in 70 Meter Entfernung ... wir probieren mal dies...und mal das ....

Problematisch wirds, wenn Studien über andauernden Verkehrslärm oder über 1000 fach stärkere Vibrationen an Fabrikmaschinen von den BB klammheimlich auf Windräder umgemünzt werden, indem man z.B. Studienergebnisse zitiert, aber die Expositionswerte und Randbedingungen des Studiendesigns geflissentlich unterschlägt.

K

Infraschall: Gut, dass wir keine Dickhäuter sind

Gast, Donnerstag, 11.06.2015, 13:22 (vor 3436 Tagen) @ Kuddel

Allerdings muss ich zugeben, daß diesmal Ursache zu möglicher Wirkung "plausibler" erscheint, als beim Thema Elektrosmog.

Ja, Infraschall ist gefährlich. Aber erst oberhalb der Grenzwerte für beruflich Exponierte - dann ist Infraschall nicht ohne! Da unterscheidet sich Infraschall nicht von anderen Grenzwertüberschreitungen, etwa bei EMF oder hörbarem Schall.

Es gibt Leute mit tiefer Hörschwelle, die dann eventuell etwas hören, wenn andere noch nichts hören. Das kann lästig sein und auch zu Stress führen - aber wo ist da der Unterschied zum Lärm von Autobahnen, Baustellen, Flughäfen? Im Vergleich dazu sind Windräder noch leise. Die sind nur zu Beginn ungewohnt, die anderen Geräusche haben wir längst akzeptiert. Die meisten Menschen aber haben eine ganz normale Hörschwelle und hören deshalb nichts oder bilden sich das nur ein (Nocebo, Erwartungshaltung).

Man möchte meinen, Tiere wie Marder (auch Nerz ist eine Marderart) würden unter Infraschall durchdrehen - viele Tiere haben einen ganz anderen Frequenzgang ihrer Hörorgane als der Mensch. Hier aber steht, dass der Hörbereich von Frettchen (marderartig, Gattung Mustela = Marder) 36 Hz bis 44 kHz beträgt. Ein hellhöriger Mensch kommt auf 20 Hz bis 20 kHz. Also ist für tiefe Frequenzen der Mensch empfindlicher, für hohe der Marder. Deswegen arbeiten Geräte vom Typ "Marderschreck" immer mit Ultraschall und nicht Infraschall. Wirkt auch gegen Katzen, Hunde, Füchse, Mäuse, Ratten und Maulwürfe. Und ist Tierquälerei. Andererseits kommunizieren Elefanten mit Infraschall.

Zwei gute Paper:

- Wind turbines and human health (2014)
- Infraschall und tieffrequenter Schall – ein Thema für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz in Deutschland? (2007)

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Infraschall

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