Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz: Behauptungen geprüft (Allgemein)
Auszug aus dem Jahresbericht 2013 des Vereins AefU (Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz):
Die Belastung mit nicht ionisierender Strahlung im Alltag nimmt exponentiell zu, sowohl durch den Smartphoneboom, als auch durch die zunehmende Nutzung kabelloser Heimnetzwerke.
Soso, eine exponentielle Zunahme der EMF-Immission sehen die Mediziner also in der Schweiz. Exponentielles Wachstum bedeutet im Vergleich zu linearem Wachstum, dass eine Größe nicht gleichmäßig, sondern immer schneller wächst. Exponentielles Wachstum bedeutet rapide zunehmendes Wachstum.
Landläufig als Hauptquelle für Elektrosmog werden Mobilfunk-Sendemasten gesehen. Auch von zwei AefU-Funktionären, die 2012 in einem Brief eine damals noch kontinuierliche Zunahme der Strahlenbelastung durch Mobilfunk beklagten und eine Senkung der Schweizerischen NIS-Grenzwerte des Jahres 2000 um den Faktor 10 forderten.
Nunja, Papier ist geduldig. Was aber sagen die Fakten? Schauen wir nach.
Die Zentralschweiz betreibt seit 2006 ein Netz von Elektrosmog-Messstationen. Bis 2010 wurden an 24 Orten pro Jahr drei Monate lang Messwerte aufgezeichnet (mobile Messstation), seither messen fest installierte Messstationen an fünf Orten ganzjährig. Um der Behauptung der AefU von einer exponentiellen Zunahme der EMF-Immissionen auf den Grund zu gehen, habe ich mir die Daten der willkürlich ausgewählten Messstation Alpnach ab 2010 einmal näher angeschaut. Diese Messstation befindet sich auf einem Industriegebäude. Gemessen wird vor allem das Signal der gegenüberliegenden rd. 100 Meter entfernten Mobilfunkstation im Bereich GSM 900 und UMTS. Ebenfalls sichtbar ist eine weiter weg liegende GSM-1800-Station.
Sollte ein exponentieller Anstieg der Immission vorliegen, müsste dieser im Zeitraum 2010 bis 2014 unübersehbare Spuren hinterlassen haben. Diese aber konnte ich nicht finden. Weil die Messkurven nur je ein Jahr umfassen, ist der Gesamtüberblick von 2010 bis 2014 nur mühsam zu gewinnen. Deshalb habe ich in folgender Grafik die vier Messkurven nebeneinander gestellt. Da im Forum die maximale Bildbreite auf 600 Pixel begrenzt ist, werden Details verschwindend klein angezeigt. Macht aber nichts, wir wollen ja den Gesamtverlauf über rd. 4 1/2 Jahre betrachten:
Immissionsentwicklung GSM900/1800 und UMTS von 2010 bis Mitte 2014 in Alpnach (Schweiz)
Auf den ersten Blick ist zu sehen: Die Immission an diesem Standort ist weder kontinuierlich gestiegen, geschweige denn exponentiell, sie ist stattdessen leicht gefallen. Ob an diesem Standort LTE verfügbar ist (Einführung in der Schweiz ab November 2012), darüber gibt die Senderkarte des Bakom Auskunft. Und, ja, der Standort hat LTE, die Messstation erfasst diesen Sender jedoch offensichtlich nicht. Insofern gibt die Grafik oben ab frühestens November 2012 die tatsächliche Immission nicht mehr korrekt wieder [Hinweis: Möglicherweise ist LTE in der grünen Breitband-Messkurve enthalten, da die Eckfrequenzen des Breitbandbereichs nicht genannt werden, ist dies jedoch spekulativ]. Doch selbst wenn die LTE-Immission mit einbezogen wäre, die Immission hätte sich vielleicht verdoppelt, mit Sicherheit hätte es jedoch auch damit keinen exponentiellen Anstieg gegenüber Januar 2010 gegeben.
Fazit: Die Behauptung der AefU über die Immissionsentwicklung konnte durch die Stichprobe in keiner Weise bestätigt werden. Auch die Daten der übrigen Messstationen stützen die Behauptung der AefU nicht, sie lässt sich daher, was Mobilfunk-Sendemasten anbelangt, pauschal mit Sicherheit nicht aufrecht erhalten. Und da die Mediziner auch diesmal nicht differenzieren, wovon sie überhaupt reden (Sendemasten oder Handys), sie aber eine Grenzwertsenkung für Sendemasten fordern, bleiben die Zweifel an der technischen Kompetenz der AefU in Fragen des Mobilfunks bestehen.
Hintergrund
Schweiz: AefU nimmt Stellung zu NISSG-Entwurf
Schweiz: Funkfeldbelastung gegenüber 1989 verzehnfacht
[Admin: Editiert im 4. Absatz am 24.08.14, 10:16 Uhr]
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –