Oskar Lafontaine spekulierte auf Festnetztelefon-Effekt (Allgemein)
Zur Landtagswahl 2012 im Saarland machte Oskar Lafontaine eine etwas kuriose Bemerkung, sinngemäß:
Ich erwarte ein besseres Ergebnis für die LINKE als die Umfragen zeigen, weil viele Leute kein Festnetztelefon mehr haben.
Prompt handelte er sich damit ein paar Lacher im deutschen Comedy-TV ein. Aber tatsächlich war das Endergebnis für die LINKE durchgehend etwas besser als die letzten Umfragen vor der Wahl vermuten ließen. Noch deutlicher war der Unterschied bei der Piratenpartei, die wesentlich besser abschnitt als in den Umfragen, während z. B. die FDP deutlich weniger Stimmen bekam als die Meinungsforscher vorhersagten. Hatte Lafontaine also Recht, und was genau hat er gemeint?
Wahlumfragen werden in der Regel so durchgeführt, dass aus öffentlichen Telefonverzeichnissen per Zufall eine größere Anzahl von Nummern herausgesucht wird, und die so ermittelten Personen zur anstehenden Wahl befragt werden. Nun ist es tatsächlich so, dass in den letzten Jahren immer mehr Leute ausschließlich per Handy telefonieren und den Festnetzanschluss allenfalls für DSL verwenden. Diese Telefonnummern stehen aber in keinem öffentlichen Telefonbuch. Diese Leute sind tendenziell jünger, während bei älteren Leuten das Festnetztelefon noch fast durchgängig vorhanden ist. Eine Auswahl von Nummern von Festnetzanschlüssen wird also im Schnitt einen älteren Personenkreis ergeben als der Durchschnitt des Wahlvolkes. Wahlumfragen per Telefon werden also tendenziell die Parteien bevorzugen, die mit älteren, konservativeren Anhängern assoziiert werden, während Parteien mit junger Wählerschaft benachteiligt werden.
In der Wissenschaft werden derartige Fehler Selektionsfehler genannt (selection bias), Studienergebnisse können dadurch bis zur Wertlosigkeit verfälscht werden.
Der obige Text ist ein Auszug aus der Webseite Fehlschluss #21: Der Selektionsfehler. Die Website "RatioBlog" bietet in der Eigensicht kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien. Ich habe ein bisschen dort herum gestöbert und kann die Seite empfehlen. Sie zeigt, für Laien gut verständlich, unter anderem typische Fehlschlüsse, wie sie unter Mobilfunkgegnern gang und gäbe sind.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –