Elektrosmog-Report: Stichwortgeber für Schein-Experten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 07.12.2011, 11:09 (vor 4718 Tagen)

Die Titelstory in der Dezember-Ausgabe des sogenannten Fachinformationsdienstes "Elektrosmog-Report" lautet "Mobiltelefonnutzung von Jugendlichen in der Schule". Es geht um eine aktuelle Studie von Redmayne M et al, publiziert in Reproductive Toxicology 32.

Schon im Vorspann des Artikels stimmt die Autorin ihre Leser ein: "Eine Hochrisikogruppe wurde identifiziert, die das Mobiltelefon mehr als 10 Stunden pro Tag aktiviert hat und es in der Tasche trägt."

Aha!

Im Artikel verschwimmen dann die Grenzen zwischen dem, was in der Studie stehen könne, ebenso gut aber auch pure Interpretation der Autorin sein könnte. Etwa wenn es heißt: "So könnte bei Jugendlichen eine Gesundheitsgefahr für ihre Nachkommen bestehen, zumal auch bei Spermien gentoxische Wirkungen von Mobilfunkstrahlung nachgewiesen sind." Vergessen wurde zu erwähnen, dass dieser "Nachweis" auf wackligen Beinen steht, weil es dazu widersprechende Forschungsergebnisse gibt, und noch immer kein Wirkmodell anerkannt ist, wie es überhaupt zu gentoxischen Wirkungen kommen könnte. Momentan geht der Trend der Wirkmodellthesen eher weg von direkten gentoxischen Wirkungen hin zu indirekten Wirkungen (siehe auch hier).

Worauf ich aber hinaus will ist das Zauberwort "aktiviert", oben im Vorspann erwähnt. Aktivieren bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch "zu größerer Wirkung bringen". Der "Fachinformationsdienst" nutzt das Wort, um zitierfähig unbegründete Ängste gegenüber Mobilfunk zu schüren. Ein mMn durch und durch unseriöses Ziel des Artikels.

Denn ein "aktiviertes" Handy ist ein (nur) eingeschaltetes Handy. Ein solchermaßen aktiviertes Handy sendet jedoch nicht still und heimlich vor sich hin, sondern es empfängt nur - auch wenn sich dies z.B. beim E-Smog-Alarmierer BUND noch immer nicht bis in die Chefetage herumgesprochen hat. Die "Strahlenbelastung" eines nur eingeschalteten Handys geht gegen Null! Solange mit dem Handy nicht telefoniert wird oder Daten übertragen werden (Internet, E-Mail ...) erwacht es nur im Abstand von 30 Minuten ... 12 Stunden für etwa 1 Sekunde zum Leben (die Zeitspanne hängt davon ab, welchen Netzbetreiber man hat, siehe auch hier). Das Handy sendet in dieser 1 Sekunde einen Impuls ans Netz (PLU), um zu melden: "Hallo, ich bin noch da!". Damit dieser Impuls auch unter ungünstigen Bedingungen "durch" kommt, sendet ihn das Handy mit voller Sendeleistung. Das Netz bemerkt es, wenn dieser Impuls eines Handys ausbleibt, z.B. weil das Gerät im Handschuhfach eines Wagens liegt, der in der Tiefgarage eines Flugplatzes geparkt ist. In so einem Fall wird der Teilnehmer automatisch ausgebucht und, so er es zugelassen hat, seine Mailbox eingeschaltet.

Ein Schüler, der mit eingeschaltetem Handy in der Hosentasche im Unterricht sitzt und bei E-Plus unter Vertrag ist, erlebt während des Unterrichts keinen einzigen dieser Impulse, er bleibt die gesamte Zeit von seinem Handy völlig unbefeldet. Am häufigsten trifft es Vodafon-Kunden: Sie werden binnen 10 Stunden durch den PLU-Impuls für kumuliert ganze 20 Sekunden bestrahlt.

Der Elektrosmog-Report verschweigt die oben geschilderten Zusammenhänge völlig, er versucht stattdessen den Eindruck zu erwecken, Schüler würden sich mit "aktivierten" Handys einer Dauerbefeldung aussetzen, die im Nahfeld auch schon mal über dem Grenzwert liegen könne. Diese Desinformation wäre nun nicht weiter erwähnenswert, wären unter den Lesern des Blättchens nicht auch Baubiologen und andere, deren Geschäftsmodell mit Angst vor Elektrosmog befeuert wird. Soll heißen: Die Desinformation des "Fachinformationsdienstes" speist eine Kette von Wasserträgern, an deren Ende die verunsicherte Bevölkerung anzutreffen ist. Der werden dann in Hinterzimmern von Wirtshäusern oder in Pfarrsälen von selbsternannten Experten eben jene künstlichen Alarme verabreicht, wie sie mMn Monat für Monat der "Elektrosmog-Report" gegen 72 Euro Jahresgebühr gezielt bereit stellt. So wie Bauknecht weiß, was Frauen wünschen, weiß der "Elektrosmog-Report", was Baubiologen, Heiler und Elektrosmogmesstechniker brauchen. Echte Experten informieren sich anderswo.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Elektrosmog-Report, Irreführung, Wasserträger, Wilke, Fachinformationsdienst, Stichwortgeber, Redmayne


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