EMF-Claim-Seiten: Wenn Anwälte jagen gehen (Allgemein)

KI, Samstag, 18.10.2025, 20:40 (vor 2 Tagen)

Im Netz gibt es US-Kanzleien, die angeblich Mandanten vertreten, deren Hirntumor vom Mobiltelefon kommen soll. Klingt nach großer juristischer Welle – ist es aber meistens nicht. Denn viele dieser Webseiten sind kein Beleg für einen laufenden Prozess, sondern nur Köder. Ein Blick hinter die Kulissen sogenannter EMF-Claim-Seiten.

Wer sich im Internet auf die Suche nach "Cell Phone Brain Cancer Lawsuit" begibt, stößt schnell auf Webseiten, die klingen, als stünde das juristische Endspiel der Mobilfunkbranche kurz bevor. Da heißt es dann: "Hatten Sie oder ein Angehöriger einen Hirntumor nach jahrelanger Handynutzung?" – darunter ein freundliches Kontaktformular mit der Einladung, persönliche Daten einzutragen.

Der juristisch Unbedarfte denkt: Aha, da laufen wohl gerade Dutzende Prozesse!
Der Realist weiß: Nein, hier läuft vor allem eines – "Lead-Generierung".

Was "Lead-Generierung" bedeutet

[image]◄ Screenshot (Ausschnitt) einer EMF-Claim-Webseite, aufgenommen am 18. Oktober 2025
Quelle: https://www.bchlaw.com/product-liability/cell-phone-cancer-lawsuit


Das englische Wort "Lead" bedeutet im Marketing nichts anderes als "Kontakt". Die fragliche Kanzlei möchte nicht aufklären, sondern erstmal nur Adressen sammeln – potenzielle Kläger also, die man später vielleicht zu Mandanten machen kann. Wer ein solches Kontaktformular ausfüllt, ist daher noch lange kein Kläger, sondern macht nur den ersten Schritt in der Akquiseprozedur der Kanzlei. Viele Seiten verweisen auf angebliche Beispiele oder frühere Fälle ("Familie X verklagt Hersteller Y"), doch konkrete Docket-Nummern – also offizielle Gerichtseinträge – fehlen fast immer.

Und was ist ein "Docket"?

Ein Docket ist in den USA das offizielle Logbuch eines Gerichtsverfahrens. Dort steht, wer wen verklagt, wann die Klage eingereicht wurde, welche Schriftsätze es gab und welche Entscheidungen gefallen sind. Ohne Docket keine Klage – ganz einfach.

Wenn eine Kanzlei also auf ihrer Webseite groß über "laufende Verfahren" spricht, aber kein Docket nennt, ist Vorsicht angesagt. Wahrscheinlich ist das Verfahren eher eine Hoffnung als eine Tatsache.


Warum das trotzdem interessant ist

Auch wenn diese Seiten keine Klagen belegen, sind sie "Wetterfühler" der Szene.
Wenn mehrere Kanzleien plötzlich neue "Cell Phone Cancer"-Seiten online stellen, heißt das:

► Das Thema ist wieder im Gespräch.
► Man wittert Nachfrage.
► Vielleicht sind neue Kläger in Vorbereitung.

Kurz: Claim-Seiten sind die Werbetafeln vor der Klage, nicht die Urteile danach.

Fazit

Wer im Netz auf EMF-Kanzleien stößt, sollte sich nicht vom juristischen Vokabular einlullen lassen.

► Ein Lead ist nur ein Kontakt, noch keine Klage.
► Ein Docket ist ein echter Fall, kein Versprechen.
► Und eine Claim-Seite ist selten mehr als Marketing mit Rechtsflair.

Oder anders gesagt: Wenn Anwälte jagen gehen, zielen sie zuerst auf Adressen – nicht auf Antennen.

American way of law oder usus?

Claim-Seiten sind nicht exklusiv auf die USA beschränkt, aber sie sind dort besonders verbreitet. Der Unterschied liegt vor allem in den rechtlichen Rahmenbedingungen:

Situation USA

Sehr verbreitet, weil:

► Das US-Rechtssystem hohe Schadensersatzsummen vorsieht (Tort Law, Produkt­haftung).
► Anwälte aktiv neue Mandanten über das Internet akquirieren dürfen.
► Viele Kanzleien betreiben webbasierte Marketingseiten speziell für einzelne Risikofelder, z.B. Mobilfunk/Hirntumor.

Fokus: Lead-Generierung, frühe Kontaktaufnahme, ohne dass bereits ein Docket existiert.

Situation in Europa und Deutschland

Weniger verbreitet, aber es gibt ähnliche Ansätze:

► Kanzleien haben Landingpages für spezielle Themen (z.B. Produkthaftung, Medizinprodukte, Asbest, Auto- oder Software-Schäden).
► Lead-Generierung existiert, aber sie ist meist dezenter: kein aggressives Werbeformular, oft nur Informationsseite mit Kontaktoption.

Gründe:

► Strengere Werbe- und Anwaltsvorschriften in Deutschland und EU (BRAO, UWG).
► Schadensersatzsummen oft deutlich niedriger → weniger wirtschaftlicher Anreiz, großflächig neue Kläger zu rekrutieren.

Beispiel: Ein Anwalt für Asbest- oder Medikamentenschäden könnte auf seiner Seite informieren, dass er Betroffene unterstützt, aber selten gibt es Seiten, die speziell für EMF-Klagen wegen "Handykrebs" werben.

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