Zecken mögen gerne Funkstrahlen (Forschung)

H. Lamarr @, München, Freitag, 07.04.2023, 21:40 (vor 759 Tagen)

Das Gigaherz-Faktotum, derzeitiges Pseudonym "Beobachter", gibt im Gigaherz-Forum unter dem Titel "Zecken mögen gerne Funkstrahlen" den Abstract einer 2020 publizierten Studie wieder. Die Eigenleistung des Forumteilnehmers beschränkt sich aufs Einstellen einer deutschen Automatenübersetzung des Abstracts. Hört sich doch gut an. Warum ist es dennoch doof?

Besagte Studie ist eine polnisch/slowakische Co-Produktion erschienen in Science Direct unter dem Titel Infected Ixodes ricinus ticks are attracted by electromagnetic radiation of 900 MHz. Ein erstes Indiz auf die Qualifikationen von "Beobachter" ist, dass er oder sie die Automatenübersetzung des Begriffs "Radiation-Shielded Tube" in "Strahlenschutzröhre" unbesehen übernimmt. Deepl hat den Abstract etwas besser übersetzen und von dem Begriff vorsichtshalber die Finger gelassen:

Es ist bekannt, dass das elektromagnetische Feld (EMF) die Funktionen des Nerven-, Herz-Kreislauf- und Fortpflanzungssystems vieler Tiere, einschließlich Zecken, beeinflusst. Das Ziel dieser Studie war es, das Verhalten von Zecken in Gegenwart von hochfrequenten EMF zu testen. Für die Tests wurden 160 erwachsene männliche und 140 erwachsene weibliche, nicht gefütterte Ixodes ricinus-Zecken verwendet. Die Individuen wurden im Radiation-Shielded Tube (RST) 900 MHz EMF ausgesetzt. Die Zecken wurden von dem bestrahlten Bereich angezogen. Dieser Effekt war bei mit Rickettsia spp. infizierten Zecken deutlich stärker, was darauf hindeutet, dass Krankheitserreger die Reaktion der Zecken auf Umweltreize verändern können. Diese Ergebnisse werfen die Frage auf, ob vom Menschen verursachte EMF einen Einfluss auf die Aktivität von I. ricinus haben und somit zu den derzeit in Europa und anderswo beobachteten Veränderungen in der Verbreitung der Zecke und ihrer Krankheitserreger beitragen könnten.

Die RST ist also ein mit 900 MHz befeldetes EMF-durchlässiges Kunststoffrohr, das mutmaßlich vorne und hinten geschirmt ist, in der Mitte jedoch nicht, so dass nur dort die Exposition in voller Stärke vorhanden war. Wurde das Rohr befeldet, krabbelten einige der Zecken darin in das voll bestrahlte mittlere Rohrsegment. Dieser Effekt war deutlich stärker, krabbelten mit Borrelien infizierte Zecken in dem Rohr herum. So weit, so gut, über die Referenzierung auf den Spanier Alfonso Balmori sehen wir mal großzügig hinweg.

Aber warum ist das Posting von "Beobachter" nun doof?

"Beobachter" verlinkt aus unbekannten Gründen nur auf den Abstract der Studie bei PubMed. Dabei stellt Science Direct deutlich mehr Information gratis zur Verfügung. Den Volltext der Studie aber gibt es für Zaungäste nicht gratis, den gibt es nur gegen Zahlung. Das ist deshalb von Bedeutung, weil auch in der gestutzten Fassung der Studie auf Science Direct der alles entscheidende technische Wert fehlt: Mit welcher Feldstärke oder Leistungsflussdichte wurden die Zecken befeldet? Ohne diesen Wert ist eine Bewertung der Arbeit für das Wohl und Wehe der Bevölkerung nicht möglich. Ohne diesen Wert taugt das substanzarme Posting von "Beobachter" lediglich dazu, irrationale vage Ängste gegenüber HF-EMF in der Bevölkerung zu schüren. Deshalb Schande über "Beobachter" und seine oder ihre Nachkommen :-).

Zecken lieben Wärme, sinken die Temperaturen unter +7 °C begeben sie sich in die Winterruhe. Die Attraktivität des befeldeten Rohrsegments könnte daher auf eine Expositionsstärke hindeuten, welche die Tiere im mittleren Rohrsegment geringfügig erwärmte. Da die Zecken des Experiments zwischen September und November (2016) gesammelt und bei 16 °C gehalten wurden, sollte ihnen ein bisschen Wärme sehr willkommen gewesen sein.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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