Neues von Berenis (32): März 2023 (Forschung)

H. Lamarr @, München, Samstag, 11.03.2023, 00:22 (vor 787 Tagen)

Im Zeitraum von Mitte April bis Mitte Juli 2022 wurden 128 neue Publikationen identifiziert, von denen vier von Berenis vertieft diskutiert wurden. Zwei davon sind gemäß den Auswahlkriterien besonders relevant. Sie wurden somit zur Bewertung ausgewählt und werden im Folgenden gekürzt vorgestellt. Ungekürzt gibt es den aktuellen Berenis-Newsletter hier.

Experimentelle Tier- und Zellstudien

Ein internationales Kollaborationsprojekt zu Krebsentstehung durch hochfrequente elektromagnetische Felder (Teil-Replikation der NTP-Rattenstudie): Vorstellung der Projektplanung (Ahn et al. 2022)
Im Jahr 2019 wurde in Asien eine Teil-Replikationsstudie der NTP-Studie (siehe Newsletter- Sonderausgabe November 2018) gestartet, die Effekte von CDMA (900 MHz) HF-EMF auf die Krebsentstehung, insbesondere Hirntumoren (Gliome) und Herz-Schwannome sowie Gentoxizität bei männlichen Ratten untersucht. Das Projekt läuft insgesamt fünf Jahre, und die Tierstudien werden in Japan sowie in Südkorea durchgeführt. Die Autoren betonen die Wichtigkeit der zur NTP-Studie identischen Exposition und Umweltbedingungen der Tiere. Das Expositionssystem wurde neu gebaut und ist somit nicht baugleich zu dem, welches in der NTP-Studie verwendet wurde. Die Anzahl Tiere beträgt jeweils 70 pro Expositionsgruppe (Scheinkontrolle, exponiert, Käfig-Kontrolle) und pro Land, in der NTP-Studie waren es 90 Tiere pro Gruppe. Bei der Dosimetrie wird das Gewicht der Tiere bzw. die Gewichtszunahme über den gesamten Studienverlauf berücksichtigt. Abweichungen in der Positionierung der Tiere sowie des Gewichtes beeinflussen die Exposition bzw. die SAR-Werte. Allerdings kann angenommen werden, dass die Variabilität in allen Gruppen (HF-EMF und scheinexponierte Tiere) in etwa gleich ist. Es wird nur ein Expositionslevel untersucht, nämlich 4 W/kg Ganzkörper-SAR, während in der NTP-Studie drei Expositionslevel (1,5, 3 und 6 W/kg SAR) eingesetzt wurden und somit eine mögliche Dosiswirkungsbeziehung betrachtet werden konnte. Der signifikante Anstieg von bösartigen Herz-Schwannomen sowie Gliomen im Hirn manifestierte sich in der NTP- Studie bei der höchsten Exposition von 6 W/kg (Ganzkörper-SAR), einem Expositionslevel, der in dieser Studie nicht untersucht wird. Die männlichen Ratten, die in der Studie verwendet werden, stammen zudem von einem anderen Züchter, was bedeutet, dass auch die Zuchtlinie, der Unterstamm ('substrain') und somit das Erbmaterial der Tiere nicht mit den in der NTP-Studie eingesetzten identisch sind. In der neuen Studie werden scheinexponierte Tiere als Kontrollen verwendet. Allerdings werden keine historischen Kontrollen hinzugezogen, da diese wahrscheinlich in den Laboratorien nicht vorhanden sind. Hier ist anzumerken, dass die Scheinkontrollen die relevanteren Kontrollen sind. Kommt es aber zu einem Anstieg der Tumorinzidenz von Tumoren mit generell geringem Auftreten, wie beispielsweise Herz-Schwannome, so sind historische Kontrollen von Vorteil, da diese eine Aussage erlauben, wie gross die Tumorinzidenz dieses Tumors über Jahre bei dem Rattenstamm in der Rattenlinie (Unterstamm) war. Konkret bedeutet das, dass bei einem Anstieg eines solchen Tumortyps die Bewertung, ob der Effekt durch die HF-EMF-Befeldung entstanden ist, schwierig ist. [...]

Der Einfluss von Millimeterwellen auf Genaktivität und die Sekundärstruktur der DNS (Lawler et al. 2022)
Nicht-thermische Einflüsse von hochfrequenten EMF im Bereich von Millimeterwellen (MMW) auf biologische Systeme sind bis anhin noch spärlich untersucht. Diesbezüglich wurde in der in vitro-Studie von Lawler und Kollegen (2022) eine genomweite Expressionsanalyse in menschlichen primären Fibroblasten durchgeführt, um mögliche biologische Effekte eines 60-GHz-HF-Funkfeldes zu identifizieren. Um thermische Einflüsse zu minimieren, wurde ein neu entwickeltes Expositionssystem basierend auf einem Strahlenbündel (Beam) verwendet, das kontinuierlich und etappenweise die Zellen exponierte. Die Leistungsdichte in Höhe von 2,6 mW/cm² lag oberhalb der Grenzwerte (2 mW/cm² für 6 min. bzw. 1 mW/cm² für 30 min.), und es wurden während vier Tagen tägliche Dosen von 46,8 J/cm² in einem Zeitfenster von fünf Stunden verabreicht. Die Autoren stellten fest, dass die Aktivität (Genexpression) von circa 250 Genen nach der MMW- Exposition verändert war. Dabei unterschied sich die Zellreaktion nach Exposition deutlich von bekannten Expressionsveränderungen durch thermische und Zytokin-induzierte (TGFβ) Behandlungen und fiel auch weniger umfangreich aus. Neben der Zunahme der Kollagenproduktion und Bildung von extrazellulären Kollagenfasern, was in weitergehenden Untersuchungen mittels Immunfluoreszenz bestätigt wurde, fanden sich gehäuft Aktivitätsveränderungen von Genen, die eine Rolle in der Replikation und für die Struktur der DNS und des Chromatins spielen. Diese strukturellen Veränderungen sind ihrerseits dafür bekannt, dass sie die Expression beeinflussen und könnten deshalb als mögliche Ursache für die Effekte in Frage kommen. In der Tat zeigten die Autoren eine Reduktion von sekundären DNS-Strukturen (der Klasse G4 und iMotif) in exponierten Zellen, die auch in den Genen mit veränderter Aktivität zu finden sind. Allerdings wurde nur eine Korrelation beobachtet und der zugrundeliegende biologische Mechanismus ist unbekannt. Zudem wurden keine Hinweise auf eine Schädigung der DNS gefunden (Nachweis von DNS-Doppelstrangbrüchen mittels Immunfluoreszenz für γH2AX). Aufgrund der noch lückenhaften Datenlage zur Wirkung von MMW sind die Beobachtungen von Lawler et al. (2022) aus ihrem hypothesenfreien Ansatz schwierig einzuordnen, bieten aber hilfreiche Ansatzpunkte für weitergehende Untersuchungen. [...]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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