EMF-Estimator: Expositionsabschätzung zum Nulltarif (Technik)
Auf der Website der ITU (Internationale Fernmeldeunion mit Sitz in Genf) gibt es gratis eine Windows-Software (EMF-Estimator), mit der sich eine Expositionsabschätzung für Mobilfunk- und Rundfunkantennen durchführen lässt. Die Software zeigt dazu den Verlauf der Leistungsflussdichte abhängig von der Entfernung zur Antenne grafisch an. Üblicherweise gilt diese Simulation für 1,5 Meter Höhe über dem Erdboden, die Höhe kann jedoch beliebig anders gewählt werden. Wirken mehrere (simulierte) Antennen auf einen Immissionsort ein, zeigt die Software auch die daraus resultierende Gesamtimmission an. Gedacht für Profis ist der EMF-Estimator auch für technisch vorgebildete Laien eine Art Experimentierkasten, allerdings einer mit Haken und Ösen.
Der EMF-Estimator wurde 2007 von Orange in Polen entwickelt und seither ständig weiter entwickelt, um in der ITU-Empfehlung K.70 beschriebene Methoden einer EMF-Expositionsabschätzung zu unterstützen. Die Software kann auch die kumulative Exposition in der Nähe von Sendeanlagen abschätzen, wenn viele verschiedene Sender mit unterschiedlichen Frequenzen betrieben werden. Aber: Das Hilfsmittel ist nicht für eine verbindliche Abnahme von Sendeanlagen vorgesehen und kann dafür auch nicht verwendet werden.
Der EMF-Estimator verwendet für seine Simulation von Funkwellen das strahlenoptische Ausbreitungsmodell (Punktquelle) und nutzt Strahlungsdiagramme von Antennen, die in der beigefügten Bibliothek enthalten sind oder vom Benutzer eingegeben werden. Das Strahlungsdiagramm kann 3D-Form haben, eine Funktion des Azimut- und Elevationswinkels haben oder durch das horizontale und vertikale Strahlungsdiagramm HRP und VRP dargestellt werden. Die Treffsicherheit der Berechnung wird stark durch das verwendete Modell beeinflusst und hängt von der untersuchten Feldregion und den verfügbaren Daten über die Sendeantenne und die Betriebskanäle (Träger) ab.
EMF-Estimator: Eingabe von Antennendaten (hier: Beispieldaten)
Im Allgemeinen sind die Ergebnisse der Berechnungen im Fernfeld ausreichend genau und liefern sogar noch akzeptable Ergebnisse für den größten Teil des strahlenden Nahfelds. Je nach Richtung ist im strahlenden Nahfeld jedoch mit einer Über- oder Unterschätzung des Feldes zu rechnen. Für Berechnungen im reaktiven Nahfeld sollte die Software nicht verwendet werden, da die Modelle, auf denen sie basiert, zu einfach sind, um die realen Bedingungen im reaktiven Nahfeld korrekt zu beschreiben.
Die Berechnungen sind genauer, wenn ein vollständiges Strahlungsmuster zur Verfügung steht. Ausreichend gute Schätzungen werden aber auch erreicht, wenn die horizontalen und vertikalen Strahlungsmuster HRP und VRP verwendet werden. Der Einfluss des Strahlungsdiagramms und damit die Bedeutung der genauen Kenntnis des Strahlungsdiagramms wächst mit zunehmendem Gewinn der Sendeantenne.
EMF-Estimator: Berechneter Expositionsverlauf abhängig von der Entfernung (Beispieldaten)
Seit Version 6.0 ist auch das zylindrische Antennenmodell enthalten, das eine erhebliche Verringerung der von den Berechnungen ausgeschlossenen Fläche zulässt, allerdings mit einem höheren Grad an Überschätzung.
Im Softwarepaket des EMF-Estimators ist eine Bibliothek enthalten, die Beispiele für Strahlungsdiagramme von einigen typischen Funk- und Rundfunkantennen enthält. Es ist jedoch zu beachten, dass die Ergebnisse der Berechnungen nur als Schätzung zu betrachten sind, sobald diese Strahlungsdiagramme für Antennen verwendet werden, die den tatsächlich verwendeten Antennen nur ähnlich sind. In vielen Fällen, wenn die Strahlungswerte weit unter den Grenzwerten liegen, kann eine solche Schätzung jedoch schon ausreichend sein.
Die Eingabedaten für den EMF-Estimator enthalten die Betriebsfrequenz und die Größe der einzelnen Sendeantennen. Auf der Grundlage dieser Daten wird der Beobachtungsbereich in Feldregionen aufgeteilt. Für den Bereich in unmittelbarer Nähe zu den Sendeantennen werden entsprechende Informationen auf dem Bildschirm angezeigt. In der Praxis kann der Bereich in unmittelbarer Nähe der Sendeantenne (innerhalb des Sicherheitsabstands) mit der Software allerdings häufig nicht analysiert werden.
Der EMF-Estimator ermittelt:
► die elektrische Feldstärke
► die magnetische Feldstärke
► die äquivalente Leistungsflussdichte
► Abstände zwischen Nah- und Fernfeld
► Konformitätsabstände (für Privatpersonen und berufliche Exposition)
► kumulative Expositionskoeffizienten
► Diagramme mit Referenzwerten in Abhängigkeit von der Entfernung
► Referenzwerte in Bezug auf die Icnirp-Grenzwerte
Zusätzlich zur Bibliothek mit Strahlungsdiagrammen kann ein Benutzer ihm zugängliche Daten über das Strahlungsdiagramm von Sendeantennen eingeben. Die Genauigkeit der Berechnungsergebnisse hängt stark von der Genauigkeit der Eingabedaten ab. Das ist ein Problem, denn in vielen Fällen, insbesondere bei Strahlungsdiagrammen, sind entweder gar keine Angaben zur Genauigkeit oder nur ungenaue Daten bekannt.
Quelle: ITU-Empfehlung K.70
Download des EMF-Estimators (zip-Datei mit Installationsdateien für 32-Bit- und 64-Bit-Windows-Betriebssysteme)
Gegenwärtig liegt der EMF-Estimator in der Version 8.1 vom Dezember 2020 vor, die unter Windows 10 läuft, von vereinzelten Abstürzen abgesehen. Sollte es jüngere Versionen geben, sind diese hier im jüngsten Download-Paket der Empfehlung K.70 enthalten.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Funktechnisch nicht vorgebildete Laien können mit dem EMF-Estimator nichts anfangen. Denn es gibt für die Software kein Benutzerhandbuch, sondern nur Anwendungsbeispiele (siehe Hintergrund). Und selbst wer vom Fach ist aber keinen Zugang zu den Daten von Antennen hat, kann den EMF-Estimator nur mit den mitgelieferten Beispieldaten verwenden, was allerdings auch schon ganz nett ist. Voraussetzung für die erfolgreiche Installation der Software ist die Existenz der Datenbanksoftware MS Access von Microsoft auf dem PC. Wer kein MS Access hat, was bei mir der Fall war, kann sich ersatzweise bei Microsoft das unentgeltliche Runtime-Modul von Access angeln und dieses vor der Installation des EMF-Estimators installieren (32- oder 64-Bit-Version beachten). Möglicherweise holt sich die Installationsroutine des EMF-Estimators das Runtime-Modul inzwischen jedoch selbsttätig (ausprobieren!). Den richtigen Umgang mit dem Feldschätzer muss letztlich jeder selber im Trial-and-Error-Verfahren erlernen.
Hintergrund
Estimating the Location of Maximum Exposure to Electromagnetic Fields Associated with a Radiocommunication Station
Use of EMF Estimator for Base Station authorization in a multi-source environment
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –