Line EMI-Meter: bis zu +4400 Prozent Messfehler (Technik)

H. Lamarr @, München, Samstag, 27.12.2025, 21:33 (vor 11 Stunden, 30 Minuten)

"Elektrosensible" meiden nicht nur die HF-Trägerwellen von Mobilfunk-Basisstationen, sondern auch hochfrequente Netzrückwirkungen des Haushaltsstroms, die in der konfusen Szene unter dem Begriff "dirty Power" gehandelt werden. Dummerweise sind solche Netzrückwirkungen genauso unsichtbar wie Funksignale. Doch die Elektrobranche hält auch für diesen Unbill längst Messtechnik parat. Nicht für Fachleute, sondern für blutige Laien, damit diese den vermeintlich gesundheitlich abträglichen Netzrückwirkungen mit teuren Tiefpassfiltern aus den Bilderbüchern der Branche zu Leibe rücken können.

Elisabeth B. sitzt im Vorstand des schweizerischen Vereins Gigaherz. Frau B. hält sich für stark "elektrosensibel" und berichtet, dass sie auf allerlei HF-EMF- und NF-EMF-Einwirkungen mit Unwohlsein reagiert, konkret will sie z.B. auf die elektrischen Impulse von Weidezäunen ansprechen, nicht aber auf die Exposition in MRT-Röhren. So nimmt es nicht weiter Wunder, dass im Forum des Vereins ein neuer Teilnehmer (Uwe Mettmann) Frau B. am 8. Dezember 2025 mit den Worten zitiert:

Zum Messen von Dirty Power sind mir der EMI-Meter und der Stetzerizer-Meter bekannt. (Quelle)

Offensichtlich äußerte sich B. am 31. Oktober 2025 im besagten Strang auf die zitierte Weise, sonst hätte Mettmann sie nicht wie gehabt zitieren können. Nach dem 8. Dezember muss B. ihr Posting jedoch gelöscht haben, warum auch immer. Technisch ist sie dazu imstande, denn sie ist auch Admin des Gigaherz-Forums. Diese seltsame Begebenheit sei nur am Rande erwähnt, denn die Hauptrolle spielt hier nicht B., sondern das ihr bekannte EMI-Meter. Frau B. sehe ich stellvertretend für viele andere als typischen Anwender solcher Geräte. Sie hat von dem, was sie messen will, wenig Ahnung und noch weniger von der Messtechnik, von dem richtigen Umgang damit und von deren Grenzen. Da das EMI-Meter Messwerte numerisch auswirft, erliegt die weit überwiegende Mehrzahl der Anwender meiner Erfahrung nach der großen Versuchung, die Messwerte (ggf. samt Nachkommastellen) für bare Münze zu nehmen, schließlich sieht man sie fast wie gedruckt schwarz auf weiß vor sich.

Wer misst, misst Mist

Das Line EMI-Meter misst "hochfrequente" Netzrückwirkungen, wie sie z.B. von Schaltnetzteilen erzeugt werden, im Frequenzbereich 10 kHz bis 10 MHz und zeigt den Pegel dieser unerwünschten Signale in Millivolt an. Meines Wissens gibt es in Ermangelung der Notwendigkeit für "dirty Power" keine auf die Gesundheit von Menschen bezogenen amtlichen Richt- oder Grenzwerte. Sicherheitshalber habe ich mir diese Behauptung von ChatGPT bestätigen lassen. Elektronische Geräte können jedoch nachweislich um ein Mehrfaches empfindlicher auf Störer reagieren, weshalb es für die zulässige Freisetzung von "dirty Power" EMV-Grenzwerte gibt und die Störfestigkeit von Geräten funktionalen Anforderungen unterliegt. Eben deshalb können wir heute mit modernen Autos z.B. unter Hochspannungsleitungen durchfahren, ohne dass die Steuergeräte im Fahrzeug durchdrehen.

Dieser Quelle zufolge glänzt das EMI-Meter mit einer Messgenauigkeit (gemeint ist damit deren Stiefschwester mit Namen Messfehler) von ±5 % bei 1 MHz und von +5 % bis -50 % bei 10 kHz bis 10 MHz. Nur bei 1 MHz kann man somit sicher sein, nicht halb so viel "dirty Power" zu messen, wie tatsächlich an der untersuchten Steckdose des Haushaltstroms ankommt. Diese Sorge ist jedoch unbegründet, denn wie wir gleich sehen werden, verhält es sich genau andersrum, das EMI-Meter zeigt frequenzabhängig eklatant zu hohe Werte an, die mit den Angaben zur Messgenauigkeit nicht in Einklang zu bringen sind.

Uwe Mettmann ist nicht "elektrosensibel", er hat das EMI-Meter als Audio-Freak mMn qualifiziert unter die Lupe genommen (vermisst habe ich nur die Fehlerbetrachtung der verwendeten Geräte). Die Ergebnisse seiner messtechnischen Nagelprobe präsentiert er mit einer Tabelle im Gigaherz-Forum, wesentlich ausführlicher und informativer jedoch in seinem Heimatforum. In Worten fällt sein Urteil über das Gerät dort vernichtend aus:

Die Vermutung, dass das EMI-Meter seine eigenen ausgesendeten HF-Störungen misst, hat sich nicht bestätigt.

Die Anzeige des EMI-Meters ist extrem ungenau und beträgt bei den meisten Frequenzen mindestens Faktor 10 und geht bis zu dem Extremwert Faktor 45.

Aus meiner Sicht ist das EMI-Meter kaum zu gebrauchen, gerade weil die Abweichung auch stark frequenzabhängig ist. Somit lässt sich Anzeige auch nicht unter Berücksichtigung eines Korrekturfaktors auf den richtigen Wert schließen, da ja die Frequenz der gemessenen HF-Störung nicht bekannt ist.
[...]
Was man jetzt hat, ein Gerät, welches irgendwelche Werte anzeigt. Aufgrund der frequenzabhängigen Anzeige werden unkritische Störungen überbewertet und kritische Störungen nicht erkannt (wenn sie durch Überbewertung der unkritischen Störungen überdeckt werden).

Sehr zu bemängeln ist der wesentlich zu hohe Anzeigewert. Dies führt dazu, dass der Benutzer des EMI-Meters Probleme mit HF-Störungen sieht, wo vermutlich keine Probleme sind und eventuell unnötige Maßnahmen ergreift.

Im Gigaherz-Forum veranschaulicht Mettmann den gewaltigen Messfehler des Geräts (bei 20 kHz) mit dem Hinweis, dass das EMI-Meter 1000 mV "dirty Power" melden würde, ein Wert, der überzeugten "Elektrosensiblen" mit einiger Sicherheit Schauer des Entsetzens über den Rücken laufen lässt, tatsächlich aber nur belanglose 22 mV vorhanden sind.

Wurde es Frau B. unangenehm, dass sie sich mit dem EMI-Meter als Kennerin eines unbrauchbaren Schätzeisens geoutet hatte und musste ihr Posting vielleicht deshalb dran glauben? Möglich wär's. Da sie hier im Forum mitliest, wird sie sich vielleicht im Gigaherz-Forum dazu äußern. Schaunmermal.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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