Microwave News tappt mit Schöllhorn in die Mausefalle (II) (Allgemein)
In Teil I ging es erstrangig um die stark kommerziell orientierte Komponente von Schöllhorns erstem Auftritt 2017/2018 in der Elektrosmog-Debatte. Daraus folgen Verdachtsmomente, die jetzt vorgelegte systematische Review könnte ebenfalls nicht fleckenfrei sein. Für diesen Teil der Recherche habe ich mit ChatGPT zusammen gearbeitet.
In Cureus erschien 2025 die besagte systematische Review unter dem Titel „A Systematic Review of the Impact of Electromagnetic Waves on Living Beings“. Die Arbeit sammelte 24 Primärstudien ein und zieht weitreichende Schlussfolgerungen zu Gesundheits- und Umweltproblemen durch EMF. Bei genauerer Betrachtung ist die Review methodisch jedoch klar tendenziös: Suchstrategie und Einschlusskriterien sind ergebnisgerichtet, positive Befunde wurden laut Paper explizit ausgeschlossen und die Bewertung von Publikationsbias ist zirkulär. Insgesamt eignet sich die Review nicht als neutrale Evidenzbasis — eher als Hinweisensammlung.
Was ist auffällig?
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Suchstrategie ist ergebnisgeleitet: Viele verwendete Suchbegriffe sind ausdrücklich auf "negative effects / adverse / detrimental" ausgerichtet — das erzeugt Treffer, die bereits in Richtung negativer (schädlicher) Ergebnisse vorselektiert sind.
Expliziter Ausschluss positiver Studien: Die Autoren geben an, Studien mit "positiven Effekten" ausgeschlossen zu haben. Das macht die Review per Definition selektiv und verhindert eine unvoreingenommene Bilanzierung der Literatur. Im Abschnitt Methoden der Review steht tatsächlich, dass nur Studien berücksichtigt wurden, die einen "schädlichen" oder "negativen" Einfluss von elektromagnetischen Feldern auf Organismen untersuchten. Arbeiten, die keine Effekte oder gar positive Effekte berichteten, wurden also nicht eingeschlossen. Das ist eine methodische Schieflage und entspricht nicht dem Anspruch einer echten systematischen Review.
Zeit-/Sprachfilter & 5G-Ausschluss: Beschränkung auf 2017–2024, nur Englisch/Deutsch und ein pauschaler Ausschluss von 5G-assoziierten Frequenzen (ohne überzeugende Begründung) — das alles kann relevante Forschung unzulässig ausschließen.
Grade/RoB-Anwendung problematisch: Tools wie Robins-I, Syrcle, Quin und Grade werden genannt, ihre Anwendung ist aber nicht durchgängig transparent begründet; Publication bias wird als unproblematisch bewertet mit der Begründung, "wir haben nur negative Studien aufgenommen" — das ist zirkulär und methodisch unhaltbar.
Narrative Synthese + Overclaiming: Trotz vieler kleiner, heterogener Studien mit mittlerem bis hohem Bias werden starke Aussagen zu "significant health and environmental risks" getroffen — das ist überinterpretierend.
Transparenzlücken bei Funding/COI: In der Tabelle der Review finden sich viele "N/A"-Einträge (keine Angaben) bei Funding/COI; das erschwert eine saubere Beurteilung möglicher Interessenkonflikte.
Auffällig knapp besetzt: Ebenfalls stutzig macht die Besetzung der Autorenschaft: Gerade einmal drei Personen firmieren unter der "systematischen Review". Nach heutigen Standards ist das ungewöhnlich wenig. Systematische Reviews gelten als Teamarbeit. Weil Literaturrecherche, Screening, Datenextraktion und Bias-Bewertung unabhängig doppelt durchgeführt werden sollten, sind heutzutage fünf oder mehr Autoren üblich.
Was sagen die eingeschlossenen Primärstudien?
Die 24 eingeschlossenen Arbeiten stammen überwiegend aus akademischen/universitären oder staatlichen Kontexten; es gibt keine flächendeckende Industrie-Sponsoring-Struktur in der Auswahl. Doch das ist kein Qualitätsmerkmal. Vielmehr hat die gewählte Such- und Auswahlstrategie systematisch verhindert, dass industrienahe (und damit häufig positiv/neutral ausfallende) Studien überhaupt berücksichtigt werden.
Es gibt aber einige auffällige Fälle (z.B. Studien mit militärischem/vertraglichen-Funding) sowie mehrere Studien, bei denen die Review selbst keine Funding-Angaben notiert hat (N/A) — das reduziert die Aussagekraft und Transparenz.
Fazit
Die Primärstudien sind heterogen, oft klein und teilweise methodisch limitiert — zusammen bilden sie höchstens eine hypothesengenerierende Basis, sie zeigen keine belastbare Evidenz für weitreichende Gesundheitsschlüsse. Unterm Strich präsentiert sich die Review wie eine Kargo-Kult-Studie: Die äußere Form imitiert seriöse Wissenschaft, doch im Inneren ist sie hohl. Möglicherweise dient das Paper dem Zweck, Elektrosmog Laien gegenüber als gesundheitsgefährdend zu stigmatisieren, um damit den Absatz pseudowissenschaftlicher Schutzprodukte zu fördern. Belege für diesen Verdacht liegen derzeit jedoch nicht vor. Unter diesen Umständen ist es dennoch unverständlich, dass Microwave News die Review aus der Masse neuer Studien hervorhob – offenbar ohne die methodischen Schwächen zu erkennen. Damit tut sich das Portal keinen Gefallen, denn wer Kargo-Kult als seriöse Wissenschaft verkauft, beschädigt seine eigene Glaubwürdigkeit.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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- Microwave News tappt mit Schöllhorn in die Mausefalle (I) -
H. Lamarr,
24.08.2025, 23:32
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