Die lange Fehlgeburt der EUROPAEM EMF-Leitlinie 2016 (Allgemein)
Mit medizinischen Jargon umschrieben war die Geburt der "EMF-Leitline" zur sogenannten Elektrosensibilität eine Zangengeburt mit zeitweisem Herzstillstand des Kindes. Die Chronik des unglücklichen Papiers beginnt 2012.
Am 3. März 2012 erblickte die "EMF-Leitlinie" erstmals das Licht der Welt – in der Alpenrepublik Österreich. Herausgeber war der überzeugte Mobilfunkgegner Dr. med. Gerd Oberfeld, Hebamme die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK). Doch die Kritik an der bescheidenen Beschaffenheit des Kindes war heftig. War es dies oder etwas anderes? Fakt ist: Bereits am 5. Oktober 2012 wurde die "Leitlinie" als vermisst gemeldet und die Hebamme gab vor, nichts über deren Verbleib zu wissen. So zogen die Jahre 2013 und 2014 ins Land, ohne dass irgendjemand etwas über das Schicksal der "Leitlinie" verlauten ließ, die ÖÄK presste auf Anfrage lediglich hervor, die verschwundene Leitlinie werde "überarbeitet".
Das Gras begann bereits über der Vermissten zu wachsen, als sie am 27. November 2015 plötzlich zu neuem Leben erwachte und auf englisch in der Fachzeitschrift "Reviews on Environmental Health" publiziert wurde. Der Umfang hatte sich gegenüber 2012 mehr als verdoppelt, die Anzahl der Autoren war auf 17 angeschwollen. Doch wieder schlug das Schicksal erbarmungslos zu: Nach nur wenigen Tagen, am 16. Dezember 2015, wurde auch dieses Papier von den Autoren aus dem Verkehr gezogen, wie sich im Nachhinein herausstellte, wegen massiver Plagiatsvorwürfe. Im Januar 2016 wurde die Arbeit erneut publiziert, unmittelbar anschließend abermals von der Website der Zeitschrift entfernt, um schließlich am 25. Juli 2016 in der heute noch greifbaren Fassung ein weiteres mal veröffentlicht zu werden. Seit März 2017 gibt es die vom Pech verfolgte "Leitlinie" auch in einer deutschsprachigen Fassung, die Wirkung des Papiers geht in der angestrebten Zielgruppe (Ärzte und deren Standesorganisationen) bislang freilich gegen Null. Stattdessen beschäftigen sich damit überwiegend Spinner, Geschäftemacher und Weltverbesserer.
Die Österreichische Ärztekammer, einst Hebamme der ursprünglichen "EMF-Leitlinie", hat sich mittlerweile von dem Kind offenbar distanziert. Eine Recherche nach dem Papier auf der Website der Kammer ergab heute jedenfalls keinen Treffer. Gut so, denn "Elektrosensibilität" ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Krankheit des Körpers, es entfällt daher die Notwendigkeit einer physischen Diagnose und Behandlung. Der "EMF-Leitlinie" fehlt es damit an etwas vital Wichtigem: der Existenzgrundlage. Statt sich mit auf Dauer wirkungslosen Scheinlösungen finanziell auszubeuten zu lassen ist "Elektrosensiblen" anzuraten, sich in eine qualifizierte psychotherapeutische Behandlung zu begeben, um auf diesem Wege von den Schattenseiten einer "Elektrosmog-Phobie" befreit zu werden. Eine solche Therapie hat nicht immer Erfolg, gilt jedoch als das vielversprechendste Mittel, das Leiden, das auch positive Aspekte hat (Aufmerksamkeit, Mitleid, Krankheitsgewinn ...) los zu werden. Aber: Überwiegen die positiven Aspekte, boykottieren Betroffene nicht selten jeden Therapieansatz.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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