Kargo-Kult um Henz-Studie: Game over (Allgemein)
So berichten es Diana Henz, Wolfgang I. Schöllhorn und Burkhard Poeggeler in ihrer Studie "Mobile Phone Chips Reduce Increases in EEG Brain Activity Induced by Mobile Phone-Emitted Electromagnetic Fields", die in Frontiers in Neuroscience veröffentlicht wurde (Volltext).
Wie erwartet wirbt die Firma Gabriel-Tech kräftig mit der Henz-Studie und bietet PDFs der Arbeit an, um Leser von der Originalpublikation im Netz fern zu halten (warum wird weiter unten deutlich). Und in einem undatierten Interview mit Salusmed, Zürich, plaudert Studienleiterin Diana Henz euphemistisch ...
[...] Die Studie wurde im Fachjournal «Frontiers in Neuroscience, section Neuroenergetics, Nutrition and Brain Health» veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eines der meistzitierten Fachjournale im Bereich der Neurowissenschaft und Psychologie (impact factor 3.566). Unter Experten geniesst es hohes Ansehen. Die von der Fachzeitschrift herangezogenen Gutachter haben die Studie nach verschiedenen Kriterien beurteilt. Sie betreffen insbesondere die Wissenschaftlichkeit der Studiendurchführung, der Datenanalysen und der gefundenen Ergebnisse sowie die Relevanz des Themas für die neurowissenschaftliche Fachcommunity.
[...]
Für eine Publikation in solch einer Fachzeitschrift wird ein Manuskript eingereicht, das von mehreren unabhängigen Gutachtern hinsichtlich der genannten wissenschaftlichen Kriterien beurteilt wird. Bei der vorliegenden experimentellen Studie, die wir an der Universität Mainz im Auftrag der SfGU durchgeführt haben, waren zwei unabhängige Gutachter in dieses Verfahren involviert. Beide haben ein positives Votum für die Publikation des Manuskripts abgegeben. Der gesamte Prozess hat insgesamt sechs Monate Zeit in Anspruch genommen. [...]
Das liest sich alles sehr schön, als handle es sich um astreine Wissenschaft. Doch was Henz nicht sagt: Frontiers ist ein 2007 gegründeter "Open-Access-Verlag". Und das bedeutet, im Gegensatz zu herkömmlichen Wissenschaftsverlagen müssen bei Frontiers nicht die Leser fürs Lesen eines Fachartikels zahlen, sondern die Autoren eines Fachartikels müssen dafür berappen, dass der Verlag ihr Werk publiziert. Die Preisliste von Frontiers gibt es <hier>. Open Access muss nicht unbedingt minderwertige Qualität bedeuten, es gibt jedoch eine unschöne Verbindungslinie zu "Raubverlagen". Über Frontiers sagte ein Wissenschaftsforscher 2018 in "Zeit-Online":
Der Frontiers-Verlag aus der Schweiz stand lange im Verdacht, Raubzeitschriften zu publizieren. Und tatsächlich wurden dort früher ziemlich abstruse Artikel veröffentlicht – etwa dass Aids nichts mit HIV zu tun habe. Im Laufe der Zeit hat der Verlag aber seine Qualitätsstandards verbessert und an Renommee gewonnen. Jetzt gehört Frontiers anteilig der Verlagsgruppe Holtzbrinck, zu der bekanntlich auch die ZEIT gehört.
Deutliche Kritik an den Geschäftspraktiken des Verlags ist hingegen im heute abgefragten Wikipedia-Eintrag zu lesen:
Im Jahr 2015 wurden die wissenschaftlichen Herausgeber der Zeitschriften Frontiers in Medicine und Frontiers in Cardiovascular Medicine von ihrem Amt entbunden, nachdem diese sich darüber beschwert hatten, dass Unternehmensmitarbeiter sich in ihre Entscheidungen einmischten und die Grundprinzipien für medizinische Publikationen verletzten.
2015 wurde die Frontiers Journal Series von Jeffrey Beall seiner Liste der möglichen predatory open-access publishers („Raubverlage“) hinzugefügt.
In einem Beitrag für den 2018 erschienenen Sammelband Pseudoscience: The Conspiracy Against Science berichtete Jeffrey Beall, dass Frontiers eine interne Software benutzt hat, die Gutachtern (peer reviewers) von zur Veröffentlichung eingereichten Manuskripten nicht die Möglichkeit gab, die Ablehnung eines Manuskripts zu empfehlen. Die Verlags-Systeme seien so ausgerichtet, dass es nahezu unmöglich sei, Manuskripte zurückzuweisen.
So wie es aussieht, ist Frontiers zumindest in der Vergangenheit ein umstrittener Wissenschaftsverlag gewesen, der inzwischen wohl bemüht ist, die Flecken auf seiner Weste zu entfernen. Über die Qualität der 2018 publizierten Henz-Studie sagt dies wenig. Doch da gibt es noch ein weiteres Indiz, das einem bei der Beurteilung hilft, nämlich die Anzahl anderer Studien, die auf die Henz-Studie verweisen. Ist diese Anzahl groß, wäre dies ein Hinweis auf Qualität.
Um es kurz zu machen: Die Henz-Studie wurde bis heute zwar 4'700-mal auf der Frontiers-Website aufgerufen und 420-mal herunter geladen, auf sie referenziert hat bislang jedoch nur eine einzige andere Studie. Und diese eine (Panagopoulos et al., 2019) übt geharnischte Kritik. Das Urteil der Wissenschaftsgemeinde an der Henz-Studie könnte schlimmer nicht sein. Unter diesen Umständen bekommt bei Salusmed der salbungsvolle Einstieg in das Interview mit Henz eine ganz andere Bedeutung:
Noch nie zuvor wurde der wissenschaftliche Nachweis einer Methode erbracht, die die Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung auf das Gehirn reduziert. Die Veröffentlichung einer von der SfGU in Auftrag gegebenen Studie in einem der meistzitierten Fachjournale im Bereich der Neurowissenschaft und Psychologie stellt ein weltweites Novum auf diesem Forschungsgebiet dar. [...]
So werden Pleiten in Erfolge uminterpretiert ohne zu lügen. Gut getrickst, aber nicht gut genug, um damit durchzukommen.
Game over, next Player
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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08.08.2019, 22:19
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