Tüddelige Mobilfunkgegner vs. träumende Minsterin (Allgemein)
André Masson, pensionierter Physiklehrer und Wärmequerulant tadelt im Gigaherz-Forum die schweizerische Bundesrätin Doris Leuthard. Diese hatte sich öffentlich über schlechte Handy-Verbindungsqualität in schweizer Bahnen geärgert.
Herr Masson schleudert der Ministerin u.a. entgegen:
Frau Leuthard – sehen Sie das Problem ? Das Problem sind die Nutzer, die völlig gedankenlos die Kanäle verstopfen. Genau die Nutzer haben Sie weggelassen – Sie hoffen nur auf den technischen Ausbau. Aber: weder der Autoverkehr noch der Datenverkehr können ewig und schrankenlos zunehmen: Das sollten Sie unterdessen erkannt haben. Kindliche Forderungen tönen zwar gut, erhöhen die Popularität und Ihren politischen Marktwert, aber mehr wirklich nicht. Carsten Schloter hat’s erkannt, glauben Sie ihm! Mit seinen eigenen Worten, Carsten Schloter: „Mit den aktuellen Technologien lässt sich das Problem nicht lösen. Es braucht einen komplett neuen Ansatz.“
Was Herr Masson vergaß zu erwähnen: Carsten Schloter sagte dies vor mehr als drei Jahren in einem Interview mit der Berner Zeitung (BZ). Hier der relevante Auszug daraus:
BZ: Der Internetzugang ist gerade im öffentlichen Verkehr schlecht. Ein Ärgernis ist der schwache Empfang in den Zügen.
Schloter: Ich möchte dazu ein paar spannende Zahlen liefern: Auf der Strecke Bern–Zürich findet im Intercity alle 40 Sekunden ein Wechsel der Mobilfunkzelle statt, die Verbindungen werden also von einer Antenne zur nächsten übergeben. Das hat mit der Geschwindigkeit des Zuges zu tun und mit den Grenzwerten der Antenne, die zehnmal strenger sind als im Ausland. Pro Zug reisen etwa 400 Passagiere, die alle gleichzeitig im Internet surfen. Um deren Bedürfnisse vollumfänglich zu erfüllen, bräuchte es eine Bandbreite von mindestens 1 Gigabit pro Sekunde. Die maximale Bandbreite, die wir dank der vierten Mobilfunkgeneration LTE anbieten können, beträgt aber bloss 100 Megabit pro Sekunde. Also zehnmal weniger. Würden wir nun entlang aller Bahnlinien das Netz auf LTE aufrüsten, würde das etwa drei Jahre dauern. Das Resultat wäre eine um den Faktor 2,5 höhere Geschwindigkeit als heute. Gleichzeitig wird aber der Datenverkehr im gleichen Zeitraum etwa um den Faktor 30 zunehmen. Das ist die Herausforderung.
BZ: Was unternimmt die Swisscom auf diesem Gebiet?
Schloter: Mit den aktuellen Technologien lässt sich das Problem nicht lösen. Es braucht einen komplett neuen Ansatz. Wir haben unserer Forschungsabteilung den Auftrag erteilt, nach disruptiven, also völlig neuen Lösungen zu suchen.
In der Mobilfunktechnik sind drei Jahre eine lange Zeit, in der fortwährend an der Optimierung der momentan jüngsten Übertragungstechnik gefeilt wird. Herr Masson versucht also, die Ministerin mit Schnee zu beraten, der längst geschmolzen ist. Der Forschungsauftrag, den Herr Schloter 2013 an seine F&E gab, trug kürzlich die erhofften 1 GBit/s-Früchte:
Tom's Hardware meldete am 22. April 2016:
Dem Schweizer Telekommunikationsunternehmen [Swisscom; Anm. Spatenpauli] ist es eigenen Angaben zufolge gelungen, Daten mit einem GBit/s über das Mobilfunknetz zu übertragen.
Obgleich Teliasonera Norway in Kooperation mit Huawei die Übertragung diese Datenrate bereits im Dezember 2015 gelang, stellt der erfolgreiche Test einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur voraussichtlichen Markteinführung des als 4.5G oder LTE Advanced Pro genannten Standards da.
Die Swisscom will diesen bereits Anfang 2017 realisieren, passende Endgeräte werden wahrscheinlich auf dem Mobile World Congress 2017 vorgestellt. Aktuell lassen sich über das Swisscom-Netz bis zu 300 MBit/s erreichen, in einigen Gebäuden sogar 450 MBit/s. Die theoretische Upload-Bandbreite soll mit LTE Advanced allerdings bei 150 MBit/s verbleiben.
Womit das Problem grundsätzlich auch ohne Mitwirkung von Mobilfunkgegnern gelöst ist, und das sogar noch mit LTE und nicht mit einem Mobilfunksystem der kommenden Generation 5G, bei der Datenraten von mehr als 1 GBit/s keine Hexerei mehr sind. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Erwartungshaltung der Kunden und verfügbarer Bandbreite bleibt davon unbenommen sicher noch eine zeitlang Thema. Wenn aber selbst hoch aufgelöste Videos eines Tages auch im Zug nicht mehr ruckeln, dann sollte sich so etwas wie eine einsetzende Sättigung abzeichnen. Dann sollte das Hirn der Menschen der maßgebende Engpass sein, denn auch wenn es dann technisch möglich wäre, Filme mit doppelter oder vierfacher Geschwindigkeit in bester Qualität zu senden, schneller denken und schauen können wir dennoch nicht.
Im Grunde wäre es ganz einfach, fast beliebig hohe Datenraten zuzulassen, die Funkkanäle müssten dazu lediglich eine größere Kanalbandbreite zugewiesen bekommen und schon würden die Datenströme nicht nur plätschern, sondern mächtig rauschen. Doch die Mobilfunker dürfen nicht so wie sie gerne möchten. Zu ihrem Leidwesen ist die Vergabe von Funkfrequenzen nämlich eine hoheitliche Angelegenheit, die sich die Staaten der Welt schon vor Jahrzehnten unter den Nagel gerissen haben. Alle vier Jahre muss daher auf einer internationalen Wellenkonferenz neu aushandelt werden, welcher Funkdienst sich von der Funktorte welches Scheibchen abschneiden darf. Da jede Verbreiterung einer Scheibe auf Kosten anderer geht, ist Ärger und Feilschen programmiert.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –