Hintergrund
Neuerkrankungen an Krebs nehmen rapide zu (Vorsicht, Laie am Werk)
Gigaherz-Präsident Jakob, Elektriker im Ruhestand, macht so ziemlich alles falsch, was man beim Interpretieren einer Krebsstatistik falsch machen kann. Das erkenne sogar ich, ein Nachrichtentechniker, der von Krebsstatistik ebenfalls keine Ahnung hat. Vielleicht macht mein Hochschulstudium den kleinen Unterschied aus.
Fehler 1: Herr Jakob greift sich aus einer Zeitung den Verlauf der Krebsfallzahlen (Neuerkrankungen pro Jahr), die von 1990 bis 2010 um 35 Prozent zunahmen, von 27'000 auf 33'000 Fälle pro Jahr. Das "enorme Wachstum" beflügelt Herrn Jakob, eine seiner Wahnideen zum Vortrag zu bringen.
Doch Krebs ist eine typische Alterskrankheit, alternde Gesellschaften mit einem wachsenden Anteil Älterer zeigen schon allein wegen dieser Entwicklung eine Zunahme der Krebserkrankungen. Statistiker können diesen Effekt, der Vergleiche zwischen unterschiedlichen Dekaden verzerrt, herausrechnen (Altersstandardisierung). Nur so korrigierte Zahlen sind für Vergleichszwecke tauglich. Beim schweizerischen BFS kann sich jeder die korrigierten Zahlen (normiert auf 100'000 Einwohner) ausgeben lassen. Das Wachstum ist dann nicht mehr 35 Prozent, sondern nur knapp 20 Prozent. Was noch immer viel ist.
Fehler 2: Da er es nicht besser weiß, arbeitet Jakob mit Zahlen, die alle Krebsarten umfassen. Das ist ersichtlich schon deshalb falsch, weil z.B. Lungenkrebs bekanntlich häufig durch Rauchen ausgelöst wird und nicht durch Mobilfunk. Wissenschaftler konzentrieren sich deshalb nicht auf Haut- oder Blasenkrebs, sondern auf Hirntumoren, wenn sie Folgen des Handygebrauchs erforschen wollen. Das BFS gibt auch diese Zahlen preis, wenn <hier> in der Box "Krebslokalisation" allein der ICD-Eintrag "Gehirn und Zentralnervensystem" ausgewählt wird (siehe Screenshot).
Jetzt sind die dramatischen Zahlen plötzlich verschwunden, denn Hirntumoren sind im Vergleich zu Brust- und Prostatakrebs selten. Klar, dass ein Anti-Mobilfunk-Hetzer wie Jakob an diesen korrekten Zahlen kein Interesse hat, sondern lieber dramatisch hohe aber unzutreffende Zahlen verwendet. Die altersspezifische Rate stieg von 6,7 Hirntumorfällen pro 100'000 Schweizer im Jahr 1990 (1988-1992) auf 7,7 Fälle im Jahr 2010 (2008-2012). Dies ist ein Anstieg um 15 Prozent, die absoluten Fallzahlen sind unspektakulär.
Fehler 3: Herr Jakob versucht zwischen der Krebsentwicklung in der Schweiz und der Anzahl der Standorte für Mobilfunksender einen Zusammenhang zu konstruieren. Nein, konstruieren würde noch auf eine Denkleistung hindeuten, Jakob aber behauptet diesen Zusammenhang lediglich aufgrund einer zeitlichen Korrelation. Dummerweise stiegen die Krebszahlen jedoch schon vor Mitte 1993, erst dann wurde in der Schweiz das erste GSM-Netz in Betrieb genommen. Noch nicht einmal der Funk-Krebs-Forscher Lennart Hardell behauptet das, was der 77-jährige Jakob unverantwortlich leichtfertig in die Welt setzt. Hardell sieht Risiken bei körpernah genutzter Funktechnik, nicht bei Mobilfunk-Sendemasten.
Gäbe es Haftstrafen für die Verbreitung von Stuss, Herr Jakob säße mehrfach lebenslänglich.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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Fehlinterpretation, Gehirntumor, Lungenkrebs, Krebsrate, Krebsstatistik, Laien, Jubiläum, Krebsentwicklung