Bötsch ist schuld: Wie die ödp zur Anti-Mobilfunkpartei wurde (Allgemein)
Die folgende Geschichte mit wahren Begebenheiten ist frei erfunden, könnte sich aber so zugetragen haben.
Der Raum, in dem Postminister Bötsch seine Pressekonferenz abhält, ist am 5. Februar 1993 überheizt. Dem Minister stehen die Schweißtropfen auf der Stirn als er, erst zwei Wochen im Amt, der versammelten Presse E-Plus als dritten Mobilfunkanbieter in Deutschland verkündete. Dies war die Meldung des Tages. Doch dann entfuhr Bötsch ein Satz, der Geschichte schreiben sollte:
“Die aufgeregte Diskussion über die Kernenergie dürfte in Relation zu dem, was uns die Mobilfunknetze noch bescheren werden, nur ein laues Lüftchen sein!”
Die Presse ließ sich diese Steilvorlage nicht entgehen und berichtete. Prompt beschwerte sich umgehend die Mobilfunkindustrie, der Postminister habe sich für Mobilfunkgegner, damals noch grün hinter den Ohren, stark gemacht.
Auch Klaus Buchner, Professor für Mathematik an der TU München und seit 1983 ödp-Mitglied mit Ambitionen auf den Parteivorsitz, liest die Meldung mit Bötschs Zitat. Er ist davon wie elektrisiert. Denn seine Partei ist schon lange auf der Suche nach einem Kernthema, das exklusiv mit ihr in Verbindung gebracht wird. Die Grünen, von denen sich die ödp 1982 abspaltete, hatten das Kernthema Atom, die Roten hatten Arbeit und Soziales gepachtet, die Schwarzen standen für Wirtschaftswachstum, die kleinen Orangenen aber standen mit leeren Händen da.
Buchner war begeistert: Wenn zuträfe, was Bötsch befürchte, würden Mobilfunkgegner in absehbarer Zeit den Atomgegnern den Rang ablaufen. Mobilfunkgegner! Sie waren ab sofort seine Zielgruppe, denn sie könnten die ödp in wenigen Jahren von der Kleinstpartei zur Volkspartei tragen.
Systematisch begann der Professor sich zunächst mit Hilfe von Suchmaschinen selbst zum Mobilfunkgegner auszubilden. Da nicht dumm, merkte er schnell, das Thema ist ein Reizthema, das Bürgerinnen und Bürger auf den Leib rückt und deshalb in Wallung bringt. Und wegen seiner akademischen Bildung wusste Buchner schon früh: Objektiv und seriös behandelt gibt das Thema nicht genug her, es musste subjektiv behandelt und emotional aufgeladen werden. Und er war sich sicher: Wegen der komplexen Technik würde es ohnehin kaum jemand wagen, hinter die Kulissen zu schauen, um den Schwindel zu entlarven. So gerüstet überzeugte der Parteistratege zunächst den Bundesvorstand, die Option "Mobilfunkgegner" zu ziehen, dann machte er sich daran, die Öffentlichkeit "aufzuklären". Sein Professorentitel schütze ihn weitgehend vor unangenehmen Fragen. Als er 2003 Bundesvorsitzender der ödp wurde, konnte er seine fixe Idee jetzt ungehindert in die Partei injizieren.
Die Ankopplung der ödp an die Mobilfunkgegner brachte jedoch nicht den erhoffte Aufschwung, eher das Gegenteil trat ein, die Partei dümpelt weiter auf niedrigem Niveau in der Landschaft der Parteien dahin. Daran ändert auch nichts, dass Buchner vor Kurzem ins Europaparlament gewählt wurde, denn mit Martin Sonneborn schaffte dies auch der Vorsitzende einer Spaßpartei.
Die Befürchtung des damaligen Postministers Bötsch hat sich auch nach 20 Jahren Digitalfunk nicht bewahrheitet, Mobilfunkgegner sind eine belächelte Randgruppe der Gesellschaft geblieben, Geschäftemacher, Spinner und Esoteriker haben sich des Themas bemächtigt. Doch Klaus Buchner blieb davon unberührt: Unbeirrt schöpfte er bevorzugt aus trüben Quellen Alarmierendes über die Mobilfunktechnik und verbreitete das, was er Tags zuvor über Google gelernt hatte, auf "Infoveranstaltungen" an blutige Laien. Buchner hat die erdrückenden Vorteile der Mobilfunktechnik unterschätzt, von einer handvoll Ausnahmen abgesehen blieb ihm daher auch der Rückhalt in der eigenen Partei versagt.
So ist die sogar in ihrem Parteiprogramm verankerte Anti-Mobilfunk-Ausrichtung der ödp, das Werk eines Einzelgängers, dem die Partei, wie aus Kreisen der ödp zu hören ist, nur sporadisch und widerwillig auf seinem Feldzug gegen Mobilfunk folgt. Wenn Buchner demnächst die politische Bühne verlässt, wird aller Voraussicht nach nicht nur er, sondern auch seine fixe Idee Geschichte sein.
[Letzten Absatz editiert am 10.08.14, 20:51 Uhr]
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