Hormonstörungen unter extremer 900-MHz-Befeldung (Berichtigungen)
Unter Mobilfunkgegnern fand eine Studie aus dem Iran Beachtung, die bei Befeldung von Ratten mit einem 900-MHz-Signal über signifikante Störungen im Hormonhaushalt der Tiere berichtet, jedoch im Abstract über die Expositionsstärke keine Auskunft gibt.
Wie sich jetzt am Volltext der Studie herausstellt, sind die Einwände gerechtfertigt, die sich gegen die Verbreitung der Studie in Kreisen von Laien aussprechen.
Nachfolgend einige Informationen zur Exposition, die dem Volltext entnommen wurden:
- Die Ratten wurden nicht mit einem realen GSM900-Signal befeldet, sondern mit einem unmodulierten 900-MHz-Signal (CW-Signal).
- Strahler war eine 12-cm-Dipol-Antenne.
- Exponiert wurden die Tiere in Kunststoffboxen, deren Abmessungen den Tieren einen Aufenthalt in minimal 20 cm und maximal 51 cm Distanz zur Antenne erlaubten.
- Die einwirkende Immission wurde mit einem Spektrumanalysator FSH6 gemessen.
- Im geringsten Abstand, den die Tiere einnehmen konnten, wurden 146,8 mW/cm² gemessen, im größten 22,8 mW/cm².
- Die grob abgeschätzte Ganzkörperexposition erreichte 0,19 W/kg bis 1,22 W/kg.
Und was heißt das nun?
Das heißt, dass die Tiere, sofern die Angaben der Studie zutreffend sind, bis zu vier Stunden am Tag über 30 Tage hinweg zwischen 228 W/m² und 1468 W/m² ausgesetzt waren, je nachdem, wo sie sich gerade in der Box aufgehalten haben. Zum Vergleich: Der zulässige Grenzwert bei 900 MHz beträgt rd. 4,5 W/m², die Ratten wurden daher maximal 326-fach über Grenzwert befeldet. Kein Wunder, dass den Tieren der Hormonhaushalt entgleiste.
Allerdings habe ich Zweifel an den berichteten Werten der Exposition. Denn 900 MHz bedeuten 33 cm Wellenlänge. Eine Messung mit einem Spektrumanalysator wäre nur dann zulässig gewesen, wenn sich die Ratten im Fernfeld und nicht im reaktiven Nahfeld der Sendeantenne aufgehalten hätten. Da das Fernfeld erst bei mindestens der 2-fachen Wellenlänge beginnt (besser: 4-fach), wurde von den Forschern im Iran eine elementare Regel der HF-Messtechnik missachtet. Innerhalb des reaktiven Nahfelds gemessene Feldstärkewerte (elektrische Feldstärke) lassen sich mit üblichen Methoden (Freifeld-Wellenwiderstand) nicht fehlerfrei in Leistungsflussdichtewerte umrechnen. Die Forscher im Iran hätten statt der Leistungsflussdichtewerte die Spezifische Absorptionsrate (SAR) als dosimetrische Größe verwenden müssen.
Nicht ersichtlich ist auch, wie mit einem gewöhnlichen HF-Generator (Typ wird nicht genannt) ohne Verstärker eine so hohe Leistungsflussdichte, wie die genannte, erzielt werden konnte. Möglicherweise wurde beim Satz der Arbeit im Verlag unabsichtlich die Größe Mikrowatt (µW) gegen Milliwatt (mW) ersetzt.
Die Mobilfunkgegner die sich mit dieser Studie auseinandergesetzt haben, wissen von alledem nichts und verbreiten die Studie, nur wegen ihres Alarmpotentials, unter Laien. Dies ist mMn deshalb verantwortungslos, weil ohne genaue Kenntnis der Exposition keine einzige Mobilfunkstudie zum Alarmieren taugt. Schließlich gibt es erst dann Grund zur Sorge, wenn gesundheitlich relevante Effekte unterhalb der Grenzwerte gefunden werden. Übrig bleibt im Gedächtnis der Leser des falschen Alarms nur die vage Erinnerung, 900-MHz-Felder, wie sie beim Mobilfunk gängig sind, könnten Hormonstörungen bewirken. Von der Berichtigung hier erfahren überzeugte Mobilfunkgegner nicht zwingend etwas. Aus derartigen diffusen Angsterinnerungen speisen sich mMn die etwa 30 Prozent, die bei repräsentativen Befragungen angeben, wegen der Befeldung durch Mobilfunk besorgt zu sein - obwohl es für die Besorgnis keinerlei stichhaltigen Grund gibt.
Hintergrund
Die richtige Dosimetrie: Achillesferse von Mobilfunkstudien
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –